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„Denn es ist besser, mit eignen Augen sehen“: Mein Abschied aus dem Libanon


Kaum schaue ich ein zweites Mal auf den Kalender, sind neun Monate fast vorbei. Und so nutze ich die letzten Wochen rund um meinen Abschied aus Beirut, um zurückzublicken und mich zu fragen, war es das wert?

1.) Ein Land

Selten bin ich in einem Land gewesen, das auf so kleinem Raum so vielfältig ist. Ob man nach Faraya fährt und mit Meerblick die Pisten unsicher macht, in Sour Sonne und Sandstrand genießt oder in Baalbek einen der größten und am besten erhaltenen römischen Tempel besichtigt; ob man in Batroun am Meer frühstückt oder in Beirut Hipster-Cafés entdeckt, in Libanons Städten ist für jeden etwas dabei, während das Umland mit landschaftlicher Schönheit besticht.

Gleichzeitig ist eines immer wieder Thema im Gespräch mit Libanesinnen und Libanesen aber auch in unserer Wahrnehmung untereinander: Die heikle geographische Lage, der Syrienkrieg, das Verhältnis zu Israel. Die Erfahrung der letzten Jahrhunderte mit ihren wechselhaften Einflüssen verschiedener Großmächte prägt die Kultur des Landes, ebenso wie die Suche nach der eigenen Identität seit der Unabhängigkeit im zwanzigsten Jahrhundert. „Zehn Jahre bis zum nächsten Krieg?“,  fragt eine der Hauptpersonen in Philippe Aractingis ‚Under the Bombs‘ seine Begleiterin – ein Film, der kurz nach dem letzten Krieg zwischen der Hisbollah und Israel 2006 gedreht wurde und eben jenen zum Thema hat. Das sei sehr optimistisch. Mittlerweile sind es elf. Wie der Frieden gewahrt wird in einer Gegend, wo blutige Konflikte vor der Haustür ausgetragen werden: Mit viel Waffengewalt, sagte einmal ein deutscher Bekannter und spielte damit auf die hohe Armee- und Polizeipräsenz im libanesischen Alltag an. Mit erstaunlich wenig Gewalt, finde ich. Leben auf dem Pulverfass. Eine Politik, die seit Jahren mehr mit sich selber und weniger mit der Stabilität des Landes beschäftigt ist. Und zwei Nachbarländer, die Schauplatz für zwei der am meisten präsenten Konflikte dieser Zeit sind. Wo andere laut über Flüchtlingskontingente und islamistischen Terror streiten, kämpfen die Libanesen jeden Tag aufs neue darum, die zerbrechliche Stille in ihrem Land zu schützen. „Denn es ist besser, mit eignen Augen sehen als mit fremden“, sagte Martin Luther. Und deshalb kann ich jene, die sich mit den gesellschaftlichen Fragen unserer Zeit auch in Deutschland beschäftigen nur einladen, sich dieses Land, seine Schwierigkeiten und Probleme, sein Können und seine Schönheit selber anzuschauen.

Viele Menschen

Küste in Enfeh

Ein Ausflug, zwei Wochen vor Abflug. Der kleine Ort Enfeh, unter Touristen kaum bekannt, liegt etwa 15 Kilometer südlich von Tripoli. Von einem der zahlreichen Minibusse lassen wir uns an der passenden Autobahnabfahrt absetzen und wandern durch die ersten Ausläufer des kleinen Ortes, semi-moderne Einfamilienhäuser und Geschäfte, die Klimaanlagen und Luftmatratzen verkaufen, in Richtung Strand. Kaum erreichen wir das Wasser, wird unser Weg mehr als wett gemacht. Ein verschachtelt fröhlich-bunter Restaurant-Mix wurde auf und an die felsige Küste gebaut. Wo welches Restaurant aufhört und wo das nächste anfängt, ist für uns nicht ersichtlich. Deshalb wählen wir einfach den höchsten Punkt der felsigen Etablissments für einen Kaffee und ein kühles Getränk.

Rechts neben uns ein Tisch voller Ortsansässiger, alte und junge Freunde und Verwandte, die sich zu einem gemeinsamen Abendessen zusammenfinden. Ob wir einen Whiskey mittrinken? Oder noch einen Kaffee, eine 7up? Aber eine Argileh (das arabische Wort für Shisha) möchten wir doch bestimmt rauchen. Und schon steht einer der Angestellten mit Shisha und Kohle neben uns. Wenn sie essen, müssen wir uns unbedingt dazu setzen, stellt die Gruppe noch klar und rückt kurze Zeit später zwei weitere Stühle mit an den Tisch. Der typische Smalltalk beginnt, warum wir im Libanon sind und wie es uns gefällt (wie immer strahlende Gesichter bei positiver Antwort). Aber auch ernste Themen werden angesprochen, die Jungen erzählen von schwierigen Berufsaussichten für Ingenieure und BWLer, während wir im Gegenzug den Versuch starten, das, wie zu erwarten dürftige, Wissen über die Politik des dritten Reiches aufzufrischen. Mittlerweile wurde auch uns reichlich Arak eingeschenkt und während ein älterer Libanese glaubhaft versichert, man könne die gegrillten Fische in einem Stück und inklusive Kopf genießen, platzieren zwei jüngere den Fisch, fachmännisch von Gräten befreit, auf unserem Teller. Geld? Auf keinen Fall. Schaut mal wieder vorbei, rufen sie uns hinterher, als wir uns zeitgleich mit der Sonne zurück nach Beirut verabschieden. Auf dem Rückweg packt mich ein bisschen Wehmut. So ein kleines Land, so ein großes Herz, in dem man einen Alltag voller Gefälligkeiten, Freundlichkeiten und Höflichkeiten erleben kann. Nicht selten habe ich mich gefragt, ob es Gästen in meinem eigenen Heimatland ähnlich ergeht. Und so bleibt diese Erfahrung eine der vielen, über die ich weiter nachdenke, während ich sie mit nach Hause nehme.

Und Ich

Warum ich mich entschied in Beirut zu studieren, ist schnell erzählt. Ich wollte ins Ausland. In ein Land, in dem Menschen arabisch sprechen. Ein Land, in dem ich mein Studium der Theologie genauso fortführen, wie akademische Inspiration für den interreligiösen Ansatz erhalten kann. Ich entschied mich für den Libanon. Wenig wusste ich über den Libanon und seine Hauptstadt Beirut, viel habe ich gelernt im letzten Jahr. Ich erlebte eine Stadt, in der nicht viel übrig ist aus jener Zeit, in der man sie „Paris des Nahen Ostens“ taufte. Stattdessen versteckt sich der Himmel hinter Wolkenkratzern. Beiruts Straßen ächzen unter endlosem Verkehr, während die Kinder der Stadt an die Scheiben des nächsten Range Rovers klopfen und um Kleingeld bitten. Aber ich habe auch erlebt, dass jedes Gebäude, alt, neu, hoch, niedrig, hässlich, oder schön, eine Geschichte erzählt und dass es sich lohnt zuzuhören. „Beirut wird mir fehlen“, schreibt Pierre Jarawan in seinem Roman ‚Am Ende bleiben die Zedern‘. „Diese rauschende, sehnsuchtsvolle, verrückte Stadt im Aufbruch, dieser Schmelztiegel sich überlagernder Kulturen, Religionen, Sprachen. Beirut ist pure Fröhlichkeit und pure Trauer zugleich. Beirut ist Vergebung.“

Die Sonne, die so oft vom Himmel herab scheint. Der Beton um mich herum. Die kleinen arabischen Gespräche in einem der zahlreichen Busse und Taxen, die sich im Schneckentempo durch die Straßen bewegen, Beirut wird auch mir fehlen. Das Chaos, die Unsicherheit, die Lebensfreude. „Beirut humpelt, ist verwirrt, vernarbt und tanzt trotzdem.“ Beirut war mir in den letzten neun Monaten ein Zuhause.

 

 

Kommentare
  1. j.b

    23. Juni 2017

    Nice post and blog! I’m glad you enjoyed lebanon (I’m lebanese by the way). 🙂

    1. Maxie Rink

      10. Juli 2017

      Very much indeed. You have a beautiful home country 🙂 Greetings from rainy Germany

Antwort an j.b

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