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Gäste, die bleiben? Begegnungen im Libanon


Der Libanon und die Flüchtlinge. Ein Thema das mittlerweile die meisten deutschen Zeitungsartikel behandeln, sofern sie überhaupt über den Libanon berichten. Und wenn ich in meinem Bekanntenkreis frage, was den Menschen in den Sinn kommt, wenn sie an Libanon denken, dann ist es meistens dieses Thema. Wie hier real damit umgegangen wird? Einer meiner vielen Eindrücke.

Mitten in Beirut: Sabra und Schatila

Blick durch eine der Hauptstraßen von Sabra und Shatila, zwischen den Häusern sind Kabel gespannt
Blick entlang einer Häuserfront des palästinensischen Flüchtlingscamps Sabra und Schatila

Was bei der Frage nach der Situation der Flüchtlinge im Libanon oft vergessen wird: Geflüchtete Menschen leben im Libanon schon seit Jahrzehnten. Die Erfahrung, dass Menschen aus angrenzenden Staaten in den Libanon fliehen, hat dieses Land schon einmal gemacht. 1948 kamen hunderttausende palästinensische Flüchtlinge nach der Staatsgründung Israels über die Grenze und suchten Zuflucht. Kollektiv organisiert wurden die Flüchtlinge in Camps, die seitdem überall im Land existieren. Fährt man vom Flughafen aus in Richtung Beirut Innenstadt liegt eines davon ganz in der Nähe der Schnellstraße. Und auf den ersten Blick kommt es zunächst unscheinbar daher. Seine Hauptstraße ist voll mit Gemüse- und Obsthändlern, Tante-Emma-Läden und Klamotten- und Essenständen. Doch je tiefer man vordringt in die verwinkelten Gassen des Lagers, zwischen den eng an eng gebauten Häusern hindurch, desto mehr fühlt man die bedrückende Stimmung, die sich hier verbreitet. Spricht man mit LibanesInnen über palästinensische Flüchtlingslager kommt ihnen dieses hier meist besonders schnell in den Sinn: Sabra und Schatila.

Gemüseverkäufer in Sabra und Shatila mit Kisten voller Karotten, Paprika, Brokkoli, Schoten
Gemüseverkäufer in Sabra und Schatila

Das Leben im Camp

Sylvia Hadad, Verantwortliche des JCC (Joint Christian Committee for Social Service in Lebanon), die hier in Shatila ein soziales Zentrum betreiben und mit der wir das Camp besuchen werden, trifft uns morgens an der Hochschule, um gemeinsam Richtung Sabra und Schatila zu fahren.

Enge Gasse von Sabra und Shatila mit vielen Stromleitungen kreuz und quer
Stromleitungen in den engen Gassen von Sabra und Shatila

Während ich der Gruppe und unserer Gastgeberin Sylvia Hadad durch die Gassen folge sind Stromleitungen eine der ersten Sachen, die mir auffallen. Die Stromleitungen sind überall, werden von Haus zu Haus gespannt, hängen bis tief in die Gassen und schlängeln sich vorbei an den ebenfalls frei liegenden Wasserleitungen. Das hier letztes Jahr allein 50 Menschen an tödlichen Stromschlägen gestorben sind, kann ich mir jetzt gut vorstellen.

Ganz anders als im Rest der Stadt fahren hier im Camp so gut wie keine Autos und trotzdem sind die meisten Straßen voll, laut und geschäftig. So viele Menschen auf so wenig Platz; Menschen, die sich größtenteils selber versorgen. Berge an Gemüse und Obst stapeln sich auf den Karren, die deutlich frischer aussehen, als jene, die wir in den Supermärkten in Hamra verkauft bekommen. Neben Leopardeneinteiler und Gummistiefeln gibt es hier auch sonst alles zu kaufen, was man zum Überleben braucht.

„A lesson for humankind“ – Das Massaker 1982

Jassir Arafat Plakat in den Straßen von Sabra und Shatila
Jassir Arafat Plakat in den Straßen von Sabra und Schatila

In einer der kleinen Seitenstraßen, im ersten Stockwerk einer Moschee, besuchen wir eine kleine Gedenkstätte, die an Opfer des Massakers 1982 erinnert. 1975 beginnt im Libanon der Bürgerkrieg. 1982 entscheidet sich Israel in den Libanon einzumarschieren, um militante Palästinensergruppen wie die Palästinensische Befreiungsorganisation (PLO), die vorrangig aus libanesischen Flüchtlingslagern heraus operieren, zu bekämpfen. Am 16. September überfallen Mitglieder der libanesischen christlichen Phalange, mit Unterstützung der israelischen Armee, das palästinensische Flüchtlingslager Sabra und Shatila, in dem sich, nach Abzug der PLO einige Wochen zuvor, vorrangig Zivilisten aufhalten. Innerhalb von zwei Tagen werden ca. 3.000 Palästinenserinnen und Palästinenser im Lager ermordet. Männer, Frauen, Kinder, die Vergeltungsaktion der Milizen trifft die Bewohner von Sabra und Schatila mit unerwarteter Härte.

Die Gedenkstätte, die wir nun besuchen, wurde an dem Ort errichtet, wo man die Toten, an die erinnert wird, direkt nach dem Massaker aufbahrte. Einige wurden anschließend mit Namen und in Einzelgräbern, die meisten jedoch in einem anonymen Massengrab bestattet. Eine Tragödie, aber auch eine „lesson for humankind“ nennt Silvia Hadad das Massaker und appelliert damit daran, wie wichtig es für die Gesellschaft hier ist, diesen Tag niemals zu vergessen. Unabhängig von der Bedeutung dieses blutigen Massakers für die Geschichte des Landes und vielleicht sogar für die der ganzen Region, spielt es für einige LibanesInnen auch eine Rolle in ihren Gedanken gegenüber syrischen Flüchtlingen. Und das kommt so.

Wand mit Namen und einigen Bildern in der Gedenkstätte für das Massaker 1982
Wand mit Namen in der Gedenkstätte für das Massaker 1982

Gäste die bleiben – Wie die Palästinenserfrage die Menschen bewegt

Immer wieder werden in Gesprächen mit LibanesInnen kritische Einstellungen gegenüber den syrischen Flüchtlingen laut. Immer wieder stelle ich dabei fest, dass diese sich aus einer Angst des sozialen Abstiegs und eines Mangels an Ressourcen entstehen, oder die syrischen Interventionen in die libanesische Politik der letzten Jahre im Hintergrund haben.

Das Misstrauen gegenüber Flüchtlingen entsteht aber auch aus den Erfahrungen der letzten Jahrzehnte und ist damit eng mit der Situation der PalästinenserInnen im Land verknüpft. Aus dem Wissen darum, dass diese nicht wieder gegangen sind, wie es in den ersten Jahren nach der Flucht stets von politisch Verantwortlichen propagiert wurde und sich stattdessen die organisatorischen und gesellschaftlichen Strukturen innerhalb der palästinensischen Flüchtlingscamps verselbstständigt haben. Wie soll es anders sein, denn ohne die Möglichkeit eine libanesische Staatsbürgerschaft zu erlangen, ohne Job in dem Land, das um die Camps herum liegt, gibt es auch keinen Schutz durch staatliche Behörden. PalästinenserInnen ist es im Libanon nicht erlaubt in Berufen zu arbeiten, deren Angestellte sich in einer Gewerkschaft organisieren, sie dürfen seit 1994 kein Land mehr besitzen und Bildung und Gesundheit werden entweder von der UN oder von NGO’s zur Verfügung gestellt. Das Camp ist ein Ort absoluter Perspektivlosigkeit, bestätigt auch Silvia Hadad und ist sich dabei über die Gefahr des Einflusses durch radikale religiöse Gruppen gerade auf junge Menschen durchaus bewusst. Die Angst vor einem weiteren Staat im Staat in syrischen Flüchtlingslagern, dessen Entstehung womöglich erneut das Eingreifen einer ausländischen staatlichen Macht herausfordert, ist eine Angst davor, dass sich Geschichte wiederholen wird. Und so ist die Situation der PalästinenserInnen eng damit verknüpft, wie syrische Flüchtlinge in der libanesischen Gesellschaft wahrgenommen werden.

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