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Im Herzen von Hora wie ein kleines Dorf mein großes Zuhause wurde

Es gibt Reisen, die du planst und es gibt Reisen, die dich verändern.
Diese Geschichte beginnt mit einer kleinen Idee: „Vielleicht fliege ich ja über Ostern nach Sizilien.“ Sie endet mit einem Herzen voller Begegnungen, Traditionen, Tränen – und einem Gefühl von Heimat an einem Ort, den ich vorher nicht einmal kannte. Wie ich mir während meines Auslandssemesters meinen Traumtrip an Ostern ermöglicht habe, erfahrt ihr jetzt!

An Ostern habe ich mir einen Lebenstraum erfüllt – einen, der schon lange in mir geschlummert hat. Ich war endlich in Hora e Arbëreshëvet, auch bekannt als Piana degli Albanesi – ein kleines, unscheinbares Dorf, etwa 40 bis 50 Minuten von Palermo entfernt. Was es so besonders macht? In diesem Ort haben sich im 15. Jahrhundert Albaner niedergelassen, die vor dem Osmanischen Reich geflüchtet sind – und obwohl sie nun seit Jahrhunderten in Italien leben, haben sie es geschafft, ihre Sprache und Kultur zu bewahren.

Das ist für mich – als Albanerin, die in Deutschland geboren und aufgewachsen ist – einfach faszinierend. Wie funktioniert das? Wie lässt sich über so viele Generationen hinweg an Sprache und Identität festhalten?

Ich hatte so viele Fragen. Was sprechen sie zu Hause? Verstehen wir uns überhaupt? Welche Wörter, die sie benutzen, gibt es heute noch im modernen Albanisch? Sprache verändert sich ja ständig. Die Arbëreshët sprechen eine Version des Albanischen, die sie im 15. Jahrhundert mitgenommen haben – eingefroren in der Zeit, fast wie ein lebendiges Museum.

Schon seit Beginn meines Auslandssemesters in Rom hatte ich diesen random Gedanken im Kopf: „Wie cool wäre es, wenn ich einfach über Ostern nach Sizilien fliege und meinen Wurzeln ein Stück näher komme?“ Und ganz ehrlich: Wann, wenn nicht jetzt? Nächstes Jahr steht meine Masterarbeit an, danach das Referendariat. Wer weiß, ob ich danach je wieder so frei und flexibel sein würde?

Wie alles seinen Lauf nahm …

Im Juni 2023 war ich auf einer Veranstaltung vom Verein „Dora“. Da gab es eine Veranstaltung, in der es um die Arbëreshë ging– inklusive Konzert. Eine Band namens „Shega“ ist aufgetreten und hat auf „Arbërisht“ gesungen, also in der alten Sprache, die es schon gab, bevor Begriffe wie „Albanien“ oder „albanisch“ überhaupt existierten. Früher hieß das heute moderne Albanien nämlich „Arbëria“ und die albanische Sprache eben „Arbërisht“.

Ich war total bewegt von der Musik, sie hat mich richtig gepackt. Danach hab ich der Band auf Instagram gefolgt – einfach aus Interesse. Und als mein Plan, nach Hora zu reisen, konkreter wurde, hab ich ihnen geschrieben und gefragt, wann der beste Zeitpunkt für einen Besuch wäre. Die Antwort kam direkt vom Sänger, Gjergj: Ostern – da sei es am schönsten, weil viele Leute aus aller Welt kommen und man die Arbëreshë in ihren traditionellen Trachten sehen kann. Er erwähnte sogar, dass er noch ein Zimmer zu vermieten hätte. Ich war plötzlich ganz nah dran an einem Plan, der lange nur ein Gedanke gewesen war.

Zuvor hatte ich in Stuttgart mit Freunden darüber gesprochen, eventuell gemeinsam zu fahren. Ein Kumpel von mir war sowieso für sein Auslandssemester in Venedig – also dachten wir: Warum nicht zusammen? Doch wie es so oft läuft: Er musste kurzfristig absagen. Und ich stand plötzlich alleine da.

Und dann kam dieser Moment: Soll ich das wirklich alleine machen? Ganz allein in ein kleines Bergdorf auf Sizilien reisen? Was mache ich da eigentlich fünf Tage lang alleine – traue ich mir das zu?
Gjergj hatte mir geschrieben, dass das Osterfest am 20. April stattfindet und am 23. das Fest „Shëngjergj“ – San Giorgio, zu Ehren des Dorfpatrons. Der Plan war also: Vom 19. bis 24. April nach Hora – ganze fünf Tage. Allein. Soll ich es wirklich machen?

Ich bin eigentlich nicht jemand, der Probleme mit dem Alleinsein hat – ganz im Gegenteil. Ich liebe es, solo zu reisen, war im Februar auch komplett allein in Valencia. Aber dieses Mal war’s irgendwie… anders. Ich hab viel nachgedacht, mit Freunden telefoniert, mit meiner Familie geredet – und dann gesagt: „Okay. Warum nicht?“ Doch, das ist genau das, was ich will. Vielleicht sogar genau das, was ich brauche. Vor allem, weil Gjergj eben nur ein Zimmer hatte. Ich habe das als Zeichen gesehen den Schritt zu wagen. Ich buchte den Flug – mitten während eines Besuchs bei meiner Schwester in Madrid – und schrieb Gjergj, dass ich komme. Das Zimmer, so sagte er, sei im alten Haus seiner verstorbenen Großmutter. Allein das klang schon nach Geschichte und Gefühl.

Dann kam alles anders – und noch besser

Nur einen Tag nachdem ich zugesagt hatte, schrieb mir Gjergj erneut: Jemand anderes, ebenfalls Albanerin, hätte ihn kontaktiert – sie komme aus Lausanne, reise ebenfalls allein und habe ebenfalls Interesse an dem Zimmer. Ob es für mich in Ordnung wäre, es mit ihr zu teilen?

Ich war überrascht – und ehrlich gesagt auch ein bisschen skeptisch. Mit einer fremden Person in einem Bett schlafen? Aber dann schickte er mir ihren Instagram-Account, und mein erster Eindruck war positiv. Unsere Geschichten ähnelten sich. Ihre Familie war in die Schweiz ausgewandert, meine nach Deutschland. Unsere Väter hatten durch den Krieg ihr Studium abbrechen müssen, waren ausgewandert, um ihren Kindern ein besseres Leben zu ermöglichen. Da war sofort ein Gefühl von Vertrautheit. Ich dachte: Wenn sie zuerst gebucht hätte und ich später dazu gestoßen wäre, hätte ich es mir auch gewünscht. Also sagte ich zu.


Viele hätten gesagt: „Bist du verrückt?“ Aber ich habe Albaner:innen immer als offenherzige Menschen erlebt, als eine Community, die einander auffängt. Ich wusste: Es wird gut. Und ganz ehrlich – Hora hat keine große Tourismus-Infrastruktur. Alles ist Monate im Voraus ausgebucht. Es war einfach Schicksal.
Wenig später schrieben Ardiana – so hieß sie – und ich uns direkt. Und es passte. Sofort. Sie war 27, arbeitet als Psychologin, ruhig, interessiert, warm. Auch sie hatte gezögert, ob sie sich das trauen soll – allein zu reisen, ins Unbekannte zu fahren. Auch sie hatte sich letztlich ein Herz gefasst. Unsere Verbindung war fast magisch, obwohl wir uns noch nie begegnet waren.

Die ersten Begegnungen

Am 19. April war es soweit: Ich kam in Palermo an. Ardiana und ich hatten uns dort verabredet – zum ersten Mal würden wir uns wirklich begegnen. Wir gingen zusammen etwas essen, lachten viel und verstanden uns auf Anhieb. Die Chemie stimmte einfach.
Dann fuhren wir gemeinsam mit dem Bus nach Hora. Während der Fahrt konnten wir uns gar nicht sattsehen – die Landschaft war atemberaubend: grüne Hügel, weite Täler, kleine Straßen, die sich durch die Berge schlängelten.

Aussicht aus dem Bus
Unsere Aussicht aus dem Bus.

In Hora angekommen, wartete Gjergj schon auf uns. Er begrüßte uns herzlich und brachte uns direkt zu unserer Unterkunft – dem alten Haus seiner Großmutter. Wir ließen unser Gepäck dort und machten uns gleich auf zu einem ersten Spaziergang durchs Dorf.
Aber: Es war still. Zu still. Wo waren die ganzen Leute? Der nächste Tag war doch der große Festtag – wir hatten mit Trubel gerechnet, aber das Dorf wirkte wie ausgestorben.

Etwas ratlos setzten wir uns in die „Extra Bar“ – eine kleine, charmante Bar mitten auf dem zentralen Platz, dem „Shesh“. Und dort begann das, was ich nur als magisch bezeichnen kann. Plötzlich kamen Leute auf uns zu. Touristen aus Albanien, aus dem Kosovo, aus der Schweiz. Alle sprachen uns an, fragten, woher wir kamen, wie wir hierhergefunden hatten. Es fühlte sich an wie eine große, spontane Wiedervereinigung. Ein Gefühl von „Wir gehören zusammen“, obwohl wir uns alle gerade erst kennengelernt hatten.

Treffen mit locals und touristen
Erstes Kennenlernen mit Arbëreshë und Touris aus Albanien, die extra für das Osternfest angereist sind.

Es war ein ständiges Hin- und Her, von Tisch zu Tisch, von Gespräch zu Gespräch. Jeder stellte jemanden vor, jeder schien jemanden zu kennen, der jemanden kannte. Und so lernten wir auch Rexhep kennen, der in Zürich lebt und bereits im letzten Jahr in Hora gewesen war. Er führte uns zu einem besonderen Menschen: Vranin, einem albanischen Filmregisseur aus Schweden, der mit seinem Sohn Marin und seinem Verwandten Baca Viktor aus Kroatien angereist war.

Cannoli, Mitternachtsmesse und der Beginn von etwas Großem

Wir saßen also in der Extra Bar, umgeben von Gesprächen und Lachen – und mittendrin Vranin, der uns aus seinem Leben erzählte. Über seinen Dokumentarfilm über die Arbëreshë und über vergangene Osterfeste in Hora. Über Herkunft und Identität. Ganz viele Einheimische hielten an unserem Tisch und haben uns Willkommen geheißen. Ich erinnere mich noch daran, wie wir gemeinsam dort fast fünf Stunden lang saßen, mit Menschen, die wir erst seit wenigen Stunden kannten – und doch fühlte es sich an, als würden wir uns seit Jahren kennen.
Und dann geschah etwas, das ich nie vergessen werde: Ich probierte einen Cannolo, ein sizilianisches Gebäck. Aber nicht irgendeinen. Laut der New York Times gibt es in Hora e Arbëreshëvet, Piana degli Albanesi, die besten Cannoli der Welt – und ich muss sagen: Es stimmt. Ich hatte zuvor Cannoli nie besonders gemocht – zu süß, zu schwer. Aber hier? Der Teig war knusprig, die Füllung cremig, zart, mit Schokoladenstückchen… einfach perfekt.

Die Tasse Kaffee mit den leckersten Cannoli
Die Tasse Kaffee mit den leckersten Cannoli


In Palermo werben Cafés sogar mit „Cannoli express from Piana degli Albanesi“. Der Barista meinte: „Alles aufessen, sonst kostet’s doppelt!“ – das war bei den Cannoli natürlich kein Problem.

Als es Mitternacht wurde, begann die Ostermesse – die „Mesha“. Das ganze Dorf versammelte sich in der Kirche. Es war mein erstes Osterfest überhaupt, und dann gleich so eines. Die Atmosphäre war feierlich, fast ehrfürchtig. Ich fühlte mich gleichzeitig fremd und zugehörig. Es war still und dennoch voller Energie – als ob das Dorf selbst atmete.
Danach gingen wir noch auf einen Drink in die Bar – Marin, Ardiana und ich. Nicht lange, nur ein bisschen Ausklingen lassen. Der große Tag stand ja bevor: Ostersonntag. Das Highlight des ganzen Fests.
Zurück in unserer Unterkunft lagen wir im Bett, erschöpft, aber mit einem Lächeln. Wir redeten noch ein wenig, lachten über den Tag, über unsere verrückte Entscheidung, hierherzukommen. Und wir wussten: Das war erst der Anfang.

Der große Tag: Ostersonntag

Wir wachten früh auf. Es lag etwas in der Luft – diese Art Vorfreude, die man nur spürt, wenn etwas Besonderes bevorsteht. Draußen war es ruhig, aber das Dorf begann langsam zu erwachen. Wir frühstückten mit Vranin, seinem Sohn Marin und Baca Viktor – draußen in der Morgensonne, mit einem Kaffee und Cornetto.

Ostersonntag: Frühstück mit Marin, Vranin, Ardiana und Baca Viktor
Ostersonntag: Frühstück mit Marin, Vranin, Ardiana und Baca Viktor

Dann ging es los. Überall im Dorf begannen sich Menschen in traditionellen Trachten zu kleiden. Kamerateams bauten ihre Ausrüstung auf, Moderatoren aus aller Welt kamen, Mikrofone, Lautsprecher – plötzlich war alles voller Leben. Kinder liefen herum, glänzten vor Stolz in ihren traditionellen Kostümen, auch die älteren Männer haben sich sehr edel angezogen und sich schick gemacht.

Die Arbëresh in ihren traditionellen Trachten
Die Arbëreshë in ihren traditionellen Trachten

Und wir? Wir waren mittendrin. Ich konnte kaum glauben, dass ich hier war – in einem Dorf auf Sizilien, das albanischer war als alles, was ich kannte.

Vranin stellte uns unzähligen Menschen vor – aus der Schweiz, aus Schweden, aus dem Kosovo, aus Albanien. Und plötzlich waren wir ein Teil von ihnen. Kein Außen, kein Innen. Einfach zusammen.

Das Osternfest in Hora e Arbëreshëvet
Das Osternfest in Hora e Arbëreshëvet

Dann kam das Kamerateam von einer Kampagne, Made in Sicily, auf uns zu – sie hatten mitbekommen, dass wir zwei junge Albanerinnen waren, die sich in Hora zum ersten Mal getroffen und spontan ein Zimmer geteilt hatten. Wir erzählten unsere Geschichte: wie unsere Wurzeln uns verbunden haben.

Interview von Ardiana und mir
Interview mit der Kampagne „Made in Sicily“
Selfie mit den Schweizern
Gemeinsam mit einer großen Gruppe albanischer Studierende aus der Schweiz

Wir trafen auch eine Gruppe Studierender aus Padova – alle albanischstämmig aus dem Kosovo, alle zum ersten Mal in Hora. Auch mit ihnen verband uns sofort etwas. Ein stilles Verstehen. Die gleiche Sehnsucht nach einem Ort, der zu einem gehört – auch wenn man ihn nicht kennt.

Die Zeremonie war bewegend. Der Bürgermeister hielt eine Rede, es wurde viel gesungen, Instrumente gespielt und alle waren glücklich. Die Sonne brannte – UV-Index 8 – aber niemand achtete darauf. Es war, als ob die Geschichte selbst durch die Straßen zog. Es fühlte sich unwirklich an, das Osterfest wirklich live zu erleben – und nicht nur in Videos zu sehen.

Osternfest in der Piazza
Im Sheshë, der zentralen Piazza, versammelte sich das ganze Dorf und feierte gemeinsam

Am Nachmittag fuhren wir gemeinsam mit Vranin, Marin und Baca Viktor zu einem Agriturismo – einem kleinen Hof mit hausgemachtem Essen. Frische Pasta, selbstgemachter Wein, einfache Gerichte – und ich habe selten so gut gegessen. Wir lachten, redeten, tauschten Gedanken aus.

Und dann erzählte uns Baca Viktor, dass seine Urgroßmutter die Frau ist, die auf dem berühmten Gemälde „Motra Tone“ zu sehen ist – eines der bekanntesten Bilder der albanischen Geschichte. Vranin und er drehen gerade nämlich  einen Dokumentarfilm über genau dieses Thema und haben uns zur Filmpremiere in Shkoder eingeladen! Was also fest steht: Es wird eine Réunion geben! Und das, obwohl wir uns alle seit nicht einmal 24h kennen.

Am Abend ging es zurück auf den Dorfplatz. Dort trat Shega auf – die Band, durch die ich ursprünglich überhaupt von Hora erfahren hatte. Der Platz war voll, die Stimmung elektrisierend.

Und dann – plötzlich – ein Heiratsantrag. Ein albanisches Paar aus Deutschland, mitten in der Menge, mitten im Konzert. Die Leute klatschten, jubelten, riefen. Und wir? Wir waren mittendrin. Lächelnd. Tanzend. Lebendig.

Zum Abschluss wurden zwei albanische traditionelle Lieder gespielt – und alle, wirklich alle, tanzten. Jung, alt, Touristen, Einheimische. Die Arbëreshë staunten über unsere Tänze – sie kannten viele davon gar nicht. Für sie war das ein Einblick in ein Albanien, das sie vielleicht nie gesehen hatten und immer von geträumt habenß . Und für uns war es ein Gefühl von Zugehörigkeit, das Worte kaum beschreiben können.

Ostermontag: Pasquetta, Abschied und neue Begegnungen

Am nächsten Morgen wachte ich auf und spürte sofort: Irgendetwas fehlte. Und dann fiel es mir wieder ein – Ardiana war abgereist. Mein Herz war schwer. Wir hatten in diesen wenigen Tagen so viel geteilt – und plötzlich war ich wieder allein. Eigentlich war das ja der ursprüngliche Plan, aber jetzt fühlte es sich… leer an.

Ich ging zur „Extra Bar“ – meinem Ankerpunkt in Hora. Und wie durch ein Wunder traf ich dort die albanischen Studierenden aus Padova wieder. Sie luden mich direkt auf einen Kaffee ein, als wäre ich nie allein gewesen.

Im Café saß auch ein italienisches Paar. Die beiden hörten unsere Gespräche, fragten irgendwann neugierig: „Versteht ihr euch eigentlich mit den Arbëreshë?“ Daraus entwickelte sich ein langes, tiefes Gespräch über Sprache, Identität und das Gefühl, zwischen Kulturen zu stehen. Irgendwann fragte der Mann mich: „In welcher Sprache denkst du eigentlich?“ Ich lachte – aber innerlich wusste ich, dass ich gar nicht mal so leicht die Frage beantworten kann.

Nach dem Kaffee spazierten wir alle gemeinsam durchs Dorf, redeten mit den Locals, lachten viel, machten Fotos.

Es war Pasquetta, der Ostermontag, ein Feiertag in Italien, an dem man mit Freunden oder Familie grillt und zusammensitzt. Während wir durch die Gassen liefen, wurden wir spontan von einer Familie angesprochen und von ihnen zum Essen eingeladen. Wir bekamen auch eine kleine Haustour, was sehr spannend war, da das Haus aus Stein besteht. Ich war gerührt. Diese Gastfreundschaft – sie überstieg alles, was ich kannte.

Einladung der Einheimischen
Eingeladen wurden wir von den Einheimischen: selten habe ich mich so willkommen gefühlt
Pasquetta Fest mit den Studierenden aus Padova
Pasquetta gemeinsam mit den Studierenden aus Padova (inklusive Locals)

Später traf ich Gjergj wieder auf einen Kaffee. Mit dabei: Lulzim, den alle nur „Luciano“ nannten – ein Albaner aus Berat, der mit seiner Familie nach Hora ausgewandert war. Er erzählte mir, dass heute etwa 30 albanische Familien in Hora leben. Neue Wurzeln, neue Generationen – trotzdem bleibt die albanische Identität.

Dann kam noch etwas ganz Besonderes: Gjergj bot einer großen Gruppe Schweizer Studierenden, die ebenfalls für das Osterfest angereist waren, eine spontane Tour durchs Dorf an – und ich durfte mit. Aus acht Vereinen albanischer Studenten in der Schweiz, sind insgesamt 50 für das Osternfest nach Sizilien angereist. Obwohl ich sehr extrovertiert bin und kein Problem habe mit fremden Leuten zu reden, habe ich mich anfangs etwas zurückgehalten. Es war auch ungewohnt, plötzlich in einer 50-köpfigen Gruppe zu sein, nachdem ich die letzten Tage so frei und individuell erlebt hatte. Aber ich ließ mich darauf ein – und merkte schnell: Auch hier war ich willkommen.

Gemeinsame Tour mit den Schweizern
Nach der Tour mit den Schweizer Studierenden bei der Statue des albanischen Nationalhelden Gjergj Kastrioti Skenderbeu

Später verabschiedeten sich die Schweizer und fuhren zurück nach Palermo. Ich blieb zurück, hungrig – aber: Feiertag. Alles geschlossen. Nach langem Suchen fand ich doch noch einen kleinen Laden und habe ein panino (belegtes Brötchen) gegessen. Insgesamt war ich zwei Stunden lang in dem Laden und habe auch mit dem kleinen Sohn des Besitzers, Giuseppe, geredet. Am Ende schenkte mir der Kleine eine kleine Flasche Schnaps, mit einem Foto von sich und seiner Schwester in Tracht als Etikett. Er war so süß, mein Herz war voller Wärme und ich war so froh, so viele kleine Begegnungen zu machen.

Geschichte und Gedenken

Am nächsten Morgen ging es direkt weiter – diesmal mit einem Ausflug, der mir noch einmal eine völlig neue Perspektive eröffnete. Zusammen mit Gjergj und der Gruppe der Schweizer Studierenden machten wir uns auf den Weg zum Memoriale Portella della Ginestra.

Dort, am 1. Mai 1947, wurden bei einer Kundgebung zum Tag der Arbeit elf Menschen erschossen – größtenteils Landarbeiter und Arbëreshë aus Piana degli Albanesi. Die Mafia hatte die Veranstaltung angegriffen, vermutlich im Auftrag politischer Kräfte, die gegen die sich formierende Arbeiterbewegung waren. Seitdem ist der Ort ein Symbol: für Gerechtigkeit, für Erinnerung, für das, was die Arbëreshë auch in der italienischen Geschichte bedeuten. Wir legten Blumen nieder und standen schweigend vor dem Denkmal.

Danach fuhren wir in ein kleines Agriturismo in der Nähe – einfaches, ehrliches Essen. Frische Pasta, regionaler Wein und Cannoli. Alles war gut – aber ehrlich gesagt: Nichts kam an das erste Mittagessen in Hora heran. Trotzdem hatte ich ganz viel Spaß mit den Schweizern, die ich immer besser kennengelernt habe.
Da die Schweizer schneller zurück nach Palermo mussten, mussten Gjergj und ich selbst irgendwie nach Hora zurückkommen. Wir überlegten, was wir tun sollten – und Gjergj schlug spontan vor: Autostopp. Ich zögerte kurz. Ich hatte das noch nie gemacht – und war nicht sicher, ob ich mich traute. Aber dann hielt nach nicht einmal einer Minute ein Mann an: ein Italiener, der in Hora lebt – unser Glück! Alles lief zum Glück bestens.

Zurück in Piana lief ich noch ein wenig durch die Gassen. Und dann tat ich etwas, das ich auch vorher nie gemacht hätte: Ich bin ganz alleine in einen Raum reingelaufen, der eine Art Versammlungsort für alte Männer ist, die dort Karten spielten – und sprach sie auf Arbërisht an. Sie schauten kurz irritiert – dann lachten sie, luden mich ein mitzuspielen, boten mir Kaffee an. Am ersten Tag wurde mir nämlich beigebracht: In Hora spricht man kein Italienisch, nur Arbërisht, also albanisch – und ich versuchte das so gut wie möglich umzusetzen.

Kurz das Treffen der älteren Locals gecrashed und mit ihnen geplaudert
Kurz das Treffen der älteren Locals gecrashed und mit ihnen geplaudert


Einer von ihnen hieß Paolino, der zweite von links, ihm gehörte das erste Kino in Hora. Ich habe mit einigen von ihnen Interviews geführt, die ich für immer schätzen werde. Aufgrund des Mikros dachten manche sogar, ich sei vom Fernsehen. Ein Paar aus der Schweiz, die mit ihrem Sohn nach Hora angereist sind, sprach mich an – leider haben sie das große Osternfest verpasst. Natürlich erzählte ich ihnen auch von meinen tollen Erfahrungen. Wir saßen zusammen, tranken Kaffee, redeten stundenlang. Ich spürte wieder dieses besondere Band, das Albaner weltweit miteinander verbindet – egal, wie weit man voneinander entfernt lebt.

Ich hatte gehofft, noch das große Fest Shëngjergj miterleben zu können – das Fest zu Ehren des Dorfpatrons. Doch es wurde abgesagt. Der Papst war gestorben, und das Dorf entschied, im Zeichen der Trauer auf die große Feier zu verzichten. Ich war traurig, denn ich hatte mich so darauf gefreut.
Stattdessen fand nur eine stille Messe statt. Die Männer trugen schwarze Anzüge, auf denen ein Bild von Skënderbeu – dem albanischen Nationalhelden – aufgestickt war.

Abschied – ein letzter Kreis schließt sich

Am nächsten Morgen war es soweit – mein letzter Tag. Der Tag des Abschieds. Ich fuhr mit dem Bus zurück nach Palermo. Und wie es das Schicksal wollte: Der gleiche Fahrer, der mich vor ein paar Tagen hergebracht hatte, saß auch jetzt wieder am Steuer. Ein Kreis schloss sich.
An der kleinen Busstation in Piana stand ich mit einer Gruppe Australier, die – ungelogen – nur wegen der Cannoli angereist waren. Sie wussten kaum etwas über die Geschichte des Orts, also erzählte ich spontan, was ich gelernt hatte. Es fühlte sich richtig an, mein Wissen weiterzugeben – es gibt so so viele (auch Albaner leider), die nichts über die wichtige Geschichte dieses Dorfes wissen.
Dann bemerkte ich auch einen Mann mit einer Kamera und einem Hut, er sah wie ein klassischer Tourist aus. Ich habe ihn angesprochen und er teilte mir mit, dass er ein Schweizer Journalist ist, der in Brüssel arbeitet. Er hatte jedoch ein Praktikum in der Schweizer Botschaft in Kosovo gemacht und auch privat viel mit Albanern zu tun – und wollte sich nun auch das Dorf anschauen. Wir unterhielten uns die ganze Fahrt über. Über Identität und über Zugehörigkeit.

In Palermo hatte ich für die letzte Nacht ein Hostel gebucht und mein Zimmer mit anderen geteilt– zum allerersten Mal. Ich habe sehr viele coole Leute kennengelernt und ich muss echt sagen, dass auch diese Erfahrung meine Erwartungen gesprengt hat.
In Palermo konnte ich einfach durch die Stadt schlendern, ohne Ziel. Ich ließ alles sacken. Keine To-do-Liste, kein Sightseeing. Nur ich, meine Gedanken – und dieses tiefe, warme Gefühl im Bauch. Ich hatte nicht nur ein Dorf besucht. Ich hatte einen Teil von mir selbst entdeckt.
Am Abend traf ich mich noch ein letztes Mal mit Gjergj und ein paar seiner Freunde. Wir saßen draußen, tranken etwas, erzählten, lachten. Sie schrieben mir kleine Sätze in mein Reisetagebuch – einfache, ehrliche Worte, die ich niemals vergessen werde. Einer davon war:
„Dein Lächeln ist wirklich wie unseres, das der Arbëreshë. Mit viel Liebe, Luisa.“

Notiz von einer Freundin
Auch hier lernte ich viel dazu: heute sagt man auf albanisch „buzëqeshje“ zu „Lächeln“ – die Arbëreshë sagen „gazi“

Und in diesem Moment wusste ich: Ich werde zurückkehren. Nicht, weil ich muss – sondern, weil ein Teil von mir dort geblieben ist.

Am Flughafen saß ich am Gate, bereit zum Abflug. Und dann hörte ich, wie jemand am Klavier spielte – „Grenade“ von Bruno Mars. Zeitgleich schickte uns Gjergj eine Poesie, die er über das Osternfest in Hora verfasst hatte. In einem davon hat er mich und Ardiana verewigt:

Lona dhe Diana nuk e njohin njëra-tjetrën, ose të paktën nuk janë takuar kurrë.
Të ardhura nga Alpet apo edhe më lart, do ta bëjnë në zemër të Horës, duke shënuar rrahjet e saj, duke u bërë sërish motra.

Auf Deutsch übersetzt:
Lona und Diana kennen einander nicht – oder zumindest haben sie sich nie zuvor getroffen.
Aber im Herzen von Hora, im Rhythmus seiner Herzschläge, wurden sie wieder Schwestern.

Ich weiß nicht warum, aber plötzlich liefen mir die Tränen. Ich weinte nicht, weil ich traurig war, sondern weil ich so tief dankbar war.

Dankbar für Ardiana.
Für Gjergj.
Für Vranin.
Für Marin.
Für die coolen Schweizer.
Für die lieben Studenten aus Padova.
Für die Arbereshe.
Für all die anderen, deren Namen ich nie vergessen werde.

Wenn du also jemals zögerst, ob du allein losziehen sollst – tu es.
Du weißt nie, wem du begegnen wirst.
Vielleicht ist es jemand Fremdes.
Vielleicht ist es dein Spiegelbild.
Oder vielleicht ist es ein Teil von dir, den du längst vergessen hattest.

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