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Warum alle meine Klausuren um eine Woche verschoben wurden


Ende letzter Woche wurden sämtliche Klausurtermine und Abgabedaten an der Stellenbosch Universität um eine Woche nach hinten verschoben. Der Grund sind zwei erschreckende Vorfälle an der Universität, die auf die strukturellen Probleme der südafrikanischen Gesellschaft blicken lassen. Mit diesem Blogeintrag möchte ich versuchen, die Hintergründe dieser Vorfälle und die Reaktionen ein wenig zu beleuchten.

Die vergangene Woche war überschattet von zwei sehr erschütternden Vorfällen, die sich in Wohnheimen der Universität abgespielt haben. Ein Vorfall ist offenbar rassistisch motiviert. Beim anderen geht es um geschlechtsbezogene Gewalt. Ich möchte die Geschehnisse nicht weiter beschreiben, habe allerdings Links eingefügt. Beide Vorfälle werden auch strafrechtlich verfolgt. Die darauffolgenden Proteste an der Universität und die Belastungen für die Studierenden haben die Universität dazu veranlasst, das Semesterende um eine Woche zu verschieben. Damit soll sichergestellt werden, dass die Studierenden Abstand zu den Ereignissen gewinnen und sich in Ruhe auf die anstehende Klausurenphase vorbereiten können.

Die Verschiebung der Klausurenphase aus diesen Gründen ist ein Novum an der Stellenbosch Universität. Das Management der verantwortlichen Gremien der Universität wird in diesen Tagen sehr genau begutachtet. Die Universität beteuert, dass die internen Untersuchungen und disziplinarischen Verfahren von höchster Priorität sind. Gleichzeitig müssen interne Protokolle und Richtlinien befolgt werden.

Altlasten der Apartheid

Die gesellschaftliche Komplexität Südafrikas ist immens. Die Geschichte aus Kolonialzeit und Apartheid und der Fakt, dass es zwölf verschiedene Amtssprachen gibt, lassen die Komplexität der Gesellschaft erahnen. So kann es hier passieren, dass jemand als Südafrikaner*in auf einen Geburtstag eingeladen ist, aber eigentlich gar keine gemeinsame Sprache spricht – und das mit eigenen Landsleuten! Von einer solchen Geschichte hat mir ein Kommilitone berichtet.

Knapp 30 Jahre nach dem Ende der Apartheid, der Vorherrschaft der weißen europäischstämmigen Minderheit, gibt es weiterhin Probleme, die unmittelbar mit dieser Zeit zu tun haben. Südafrika gilt als das ökonomisch ungleichste Land der Welt. 10 % der Bevölkerung gehören 80 % des Vermögens.  Es wäre wohl naiv zu glauben, dass mit dem formellen Ende der Apartheid,  die Segregation der Gesellschaft in ihrer Gänze abgeschafft wäre. Die Auswirkungen sind etwa auf dem Arbeitsmarkt oder im Bereich der Bildung fortbestehend.

Ich konnte über die Vorkommnisse an der Universität auch mit einheimischen Kommilitonen sprechen. Auffallend für mich war eine gewisse Routiniertheit mit den Ereignissen, da diese leider keine Einzelfälle sind. Es gibt einen eigenen Wikipedia-Eintrag mit Protesten an der Universität Kapstadt. In einem Gespräch wurde mir bewusst, dass die Apartheidsgeschichte auch heute noch Auswirkungen auf die Menschen hat. Damit meine ich „Transgenerational Transmission of Trauma“, also die Übertragung von Erfahrungen und Vererbung von Gefühlseinstellungen von einer Generation auf eine andere. Beispielsweise möchten nicht alle Betroffenen (also zum Beispiel die Elterngeneration meiner schwarzen und Coloured südafrikanischen Kommiliton*innen) über ihre Erfahrungen sprechen, sodass die nachfolgende Generation dann quasi selbst herausfinden muss, wie sie mit dem heutigen, leider immer noch fortbestehenden (wenn auch in einer weniger starken Ausprägung) Rassismus umgeht.

Die Universität Stellenbosch im Kontext Südafrikas

Um die Ereignisse in der besagten Woche besser zu verstehen, lohnt ein Blick auf die Frage, inwieweit die Studierendenschaft der Stellenbosch Universität, die gesellschaftliche Gruppen Südafrikas widerspiegelt: In Südafrika gab es 2011 76,4 % Schwarze, 10,2 % Weiße, 8,8 % Coloured und 2,2 % Inder/Asiaten. Die Zusammensetzung an der Stellenbosch Universität steht in starkem Kontrast zur gesellschaftlichen Konstellation Südafrikas. 2018 waren 58,1 % der Studierenden Weiße, 20,1 % Schwarze, 18,1 % Coloured, 3,1 % Inder und 0,2 % Asiaten.

Es sind nicht die ersten Proteste an der Stellenbosch Universität. Schon in der Vergangenheit gab es Proteste gegen versteckten Rassismus auf unterschiedlichen institutionellen Ebenen. Im Jahr 2016 wurde Englisch im Rahmen der Language Policy Reform zur primären Arbeitssprache an der Universität gemacht. Zuvor war es Afrikaans, die erste Sprache der meisten weißen Südafrikaner (aber auch vieler Coloured oder schwarzer Südafrikaner). Dies soll zur Inklusion aller Universitätsangehörigen beitragen. Nach außen wird praktisch in allen drei offiziellen Sprachen der Western Cape Provinz kommuniziert, Afrikaans, Englisch und isiXhosa. Das bedeutet, dass beispielsweise Newsletter der Universität und Schilder immer dreisprachig sind. Aber auch akademisch sollen weiterhin alle drei Sprachen gefördert werden.

Die Universität und ihre gesellschaftliche Verantwortung

Eine andere Initiative ist die kritische Auseinandersetzung der Stellenbosch Universität mit ihrer Vergangenheit. Dazu gehört die Umbenennung von Gebäuden, um der geschichtlichen Diversität des Landes Rechnung zu tragen. Teile der Universität stehen heute auf Landflächen, die nur durch sogenannte „forced removals“ während der Apartheid nutzbar gemacht wurden. Forced removals wurden während der Apartheid unter dem sogenannten „Group Removals Act“ implementiert, um die Bevölkerung zu segregieren. Hier könnt ihr selbst nachlesen, welche Initiativen zur Transformation und Diversität angestrebt werden.

Das Bild zeigt die auch heute noch persistierende wohnliche Segregation in Südafrika.
Die farbigen Punkte zeigen an, wo welche Bevölkerungsgruppen in Stellenbosch leben. Räumliche Segregation, auch wenn formell abgeschafft, ist weiterhin eine Realität.

Ich denke, dass sich zusammenfassend sagen lässt, dass Südafrika weiterhin Zeit braucht, die Vergangenheit aufzuarbeiten und dies aktiv fördern sollte. Ich mache mir manchmal bewusst, dass das Ende der Apartheid erst 30 Jahre her ist. Die Auswirkungen auf die Gesellschaft und das öffentliche Leben sind auch heute noch unübersehbar. Für mich als Ausländer ist es nicht leicht, sämtliche gesellschaftliche Zusammenhänge zu verstehen, aber ich hoffe, ich konnte euch einen kleinen Einblick geben.

Bis bald, Erik!

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