2. Juni 2025
Der letzte Monat meines Auslandssemesters in Ouagadougou hat begonnen. Ein idealer Moment also, innezuhalten und zu reflektieren: Was hat mich geprägt? Was habe ich gelernt – über das Land, über das Studium, über mich selbst?
Die vergangenen Monate waren intensiv – herausfordernd, bereichernd, überraschend. Und sie waren ganz sicher anders, als ich sie mir vor Beginn meines Auslandsaufenthaltes vorgestellt hatte.
Zwischen Theorie und Realität – Was ich durchs Studium gelernt habe
Rückblickend habe ich selten in so kurzer Zeit so viel über ein Land, seine Strukturen und Herausforderungen gelernt wie hier. Besonders prägend waren die vielseitigen Unikurse: „Management von städtischen Territorien“, „Gesundheit und Entwicklung“, „Territoriale Perspektiven“, „Soziologie“, „Klimawandel“ – um nur einige zu nennen. Sie ermöglichten mir Einblicke in die komplexen Wechselwirkungen zwischen Stadtentwicklung, Gesundheitssystem, Klimawandel, Geschichte und gesellschaftlichem Wandel in Burkina Faso und in Subsahara-Afrika.
Besonders spannend fand ich, wie sehr all diese Themen miteinander verwoben sind. Gleichzeitig war es schade, dass wir aus Sicherheitsgründen nicht durchs Land reisen konnten – der Kontakt mit anderen Regionen hätte die theoretischen Inhalte sicher noch mal ganz anders erlebbar gemacht. So blieb vieles abstrakt – und Ouagadougou eben nur ein kleiner Ausschnitt eines sehr vielfältigen Landes.
Sicherheit und Unsicherheit – Ein Alltag mit Einschränkungen
Von Anfang an war das Thema Sicherheit allgegenwärtig – ein Aspekt, der meinen Aufenthalt stark geprägt hat. Die Informationslage zur aktuellen Sicherheitslage außerhalb der Hauptstadt war oft unklar. In manchen Momenten habe ich mich als weiße Europäerin auch deutlich unerwünscht gefühlt. Und doch: Solche Erfahrungen sind wichtig, weil sie zeigen, wie privilegiert und unbehelligt ich mich sonst durch viele Länder bewege. Es ist definitiv auch eine wichtige Erfahrung, sich auch mal unwillkommen zu fühlen – da wächst die eigene Empathie ungemein. Trotz dieser Herausforderungen und wenigen unschönen Begegnungen – überwiegen die viele schönen Begegnungen – mit offenen, herzlichen Menschen, die mir Einblicke in ihren Alltag gaben, mich einluden, Fragen stellten oder neugierig waren. Diese schönen Momente überwiegen. Gleichzeitig bleibt auch das Wissen, dass Burkina Faso ein Land ist, in dem viele Menschen tagtäglich mit Unsicherheit leben – und dass politische Kritik oder offene Meinungsäußerung oft mit Vorsicht geäußert werden (müssen).
Nachhaltigkeit und neue Perspektiven
Ein Kurs hat mich besonders begeistert: unser Forschungsprojekt zu den Auswirkungen des Klimawandels auf Studierende in Ouagadougou. Wir führten Umfragen durch, organisierten eine Fokusgruppe und sprachen mit Kommiliton*innen über ihre Wahrnehmung von Klimawandel, extreme Wetterphänomene, ihre Sorgen und konkrete Herausforderungen bezüglich der Folgen des Klimawandels in ihrem Alltag.
Themen wie Hitze, verschobene Regenzeiten, Mobilität zur Uni bei starkem Regen oder Wind – all das sind keine abstrakten Phänomene, sondern Realität. Besonders deutlich wurde mir, wie stark der Alltag hier von klimatischen Veränderungen geprägt ist – und wie eng Studierende mit ländlichen Regionen verbunden sind, in denen ihre Familien leben und oft direkt von Landwirtschaft abhängig sind. Ich habe auch ein neues Verständnis von Nachhaltigkeit entwickelt – eines, das sich viel stärker auf struktureller Ebene abspielt. Wenn es keine bezahlbare Müllentsorgung gibt, wird Müllentsorgung zum Luxusproblem. Und wenn CO₂-Emissionen in Burkina Faso kaum ins Gewicht fallen, aber Müll sichtbar ist, fällt es leicht, von außen zu urteilen – ohne die globale Ungerechtigkeit in der Klimafrage zu erkennen. Das Thema Klimagerechtigkeit wurde für mich dadurch greifbarer als je zuvor.
WG-Leben, Konflikte und Selbstreflexion
Nicht nur das akademische Lernen, auch das persönliche stand während meines Auslandssemesters im Mittelpunkt. Das Wohnen in einer internationalen WG war intensiv – und nicht immer einfach. Anfangs war die Idee vom gemeinschaftlichen Leben stark, doch im Laufe der Zeit kamen Spannungen auf. Missverständnisse, unterschiedliche Erwartungen und Konflikte haben mir deutlich gemacht, wie unterschiedlich wir als Menschen funktionieren – und wie wichtig Kommunikation, Rücksichtnahme und Kompromissbereitschaft sind.
Ich habe viel über mich selbst gelernt – darüber, wie ich in Konfliktsituationen reagiere, was ich brauche, um mich wohlzufühlen, und wie schwer es manchmal ist, Grenzen zu setzen oder sich abzugrenzen, wenn man auf engem Raum (in einem Zimmer) unter einem Dach lebt. Es war nicht leicht, vor allem weil die Konflikte bis zum Ende nicht wirklich gelöst werden konnten, aber diese Erfahrung war definitiv lehrreich.
Unerwarteter Lernraum: Alleinsein, Reflektieren, Wachsen
Durch die überschaubare Anzahl an Lehrveranstaltungen am Vormittag hatte ich auch viel Zeit für mich selbst – mehr, als ich es gewohnt war. Anfangs war das ungewohnt, doch je länger ich hier bin, desto mehr begreife ich diese Zeit als Geschenk. Ich konnte lesen, reflektieren, Französisch lernen, Online-Kurse machen – aber auch einfach mal so richtig chillen. Die Terrasse über unserem Haus wurde mein Rückzugsort und mein Mini-Zuhause.
Manchmal fühlt es sich an, als sei ich weniger im Außen angekommen als im Inneren. Und vielleicht ist das genau die Form von Ankommen, die man nicht planen kann – und die dennoch einen supergroßen Unterschied macht.
Was bleibt?
Noch knapp 2 Wochen bleiben mir in Burkina Faso. Ich merke, wie mich die Vorfreude aufs Zuhause langsam stärker beschäftigt – aber auch, wie sehr ich an dem, was ich hier erlebt habe, gewachsen bin. Dieses Semester war definitiv kein klassisches Auslandssemester mit Reisen, Freiheit, Spaß, vielen neuen Freund:innen und Abenteuern. Es war ernst, leise, tief – eine Erfahrung, die mich verändert hat.
Ich habe gelernt, dass Herausforderungen oft genau das sind, was Wachstum möglich macht. Mein Fazit ist, dass ich trotz Herausforderungen positiv denken und handeln möchte und die Lernerfahrungen nutzen möchte, die mir das Leben gibt. Studieren weltweit heißt auch: Wachsen an Orten, die herausfordern – und genau darin liegt die größte Chance.