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BASSIANI: Wo Techno die post-sowjetische Identität neu definiert

In den letzten Jahren hat sich Tiflis als ein bedeutendes Zentrum für elektronische Musik etabliert. Die einzigartige Mischung aus kultureller Offenheit, sozialem Engagement und einer blühenden Underground-Szene macht die Stadt zu einem Anziehungspunkt für Techno-Fans und Künstler aus der ganzen Welt. Viele behaupten, dass die Clubs der Stadt einzigartig sind – allen voran BASSIANI. Doch dieser Ruf ist kein Zufall; er ist tief mit der Suche nach neuer georgischer Identität in der post-sowjetischen Ära verbunden.

Am vergangenen Wochenende war Euer David zweimal im BASSIANI. Das war einer der Momente, in denen ich mir wirklich eine Minute Zeit nehmen musste, um tief Luft zu holen und mir bewusst zu werden, dass ich hier bin. Ich bin zum neunten Geburtstag des BASSIANI dabei, in meinem Auslandssemester in Tbilisi. Ich wollte diesen Moment als Erinnerung festhalten. Ein Moment, in dem sich alles richtig angefühlt hat. Der ganze Weg hierher. Solche Schlüsselerlebnisse lassen sich nur schwer in Worte fassen. Ich bekomme noch immer Gänsehaut, wenn ich diese Zeilen schreibe. Auf meiner Bucket List war BASSIANI die Nummer 1. Es geht hier nicht nur um den sinnentleerten Hedonismus oder den Techno. Mich bewegt die Geschichte dieses Ortes. Ich erinnere mich noch gut daran, wie ich 2018 die Nachrichten verfolgte, als die georgische Polizei den Club in einer gewalttätigen Razzia überfiel. Dieser Blog soll aus einer soziologischen Perspektive zeigen, was BASSIANI für Georgien bedeutet. Clubs wie BASSIANI sind Zufluchtsorte für eine Szene, die sich nach dem gleichen Freiheitsgefühl sehnt wie die Jugend im Rest Europas.

Nationalismus, Techno, Identität

Nach dem Zusammenbruch der UdSSR begannen die ehemaligen Sowjetrepubliken eine komplexe Reise, um ihre eigene Identität neu zu definieren. In ihrem Bemühen, mit den damit einhergehenden Herausforderungen fertig zu werden, klammerten sie sich oft an bewährte, traditionelle Strukturen und hatten Schwierigkeiten, sich an die neue und vielfältige Realität anzupassen. Dabei wurde häufig auf ethnisch-kulturellen Nationalismus gesetzt, was die Inklusivität und die Entwicklung eines umfassenden demokratischen Rahmens behinderte. In Georgien nach der Sowjetunion führte dieser Ansatz letztlich zu mehr Konservatismus und Spaltung, was große Teile der Gesellschaft entfremdete und polarisierte. Die elektronische Tanzmusik (EDM) hat sich in dieser Zeit als ein wirksames Instrument zur sozialen und politischen Mobilisierung erwiesen. Hier kommt BASSIANI ins Spiel. Der bekannteste Techno-Club in Tiflis, spielt eine entscheidende Rolle in dieser Entwicklung. Es geht um viel mehr als politischen Aktivismus, es geht um Identitätsbildung. Von Anfang an wurde BASSIANI als ein Ort des Wandels konzipiert und setzt sich für politische und soziale Anliegen ein. Der Club engagiert sich für LGBTQ+-Rechte und unterstützt die georgische ‚White Noise-Bewegung‘, die sich für eine liberalere Drogenpolitik einsetzt.

Ethnonationalismus

Als Ethnonationalismus wird eine politische Ideologie bezeichnet, die die ethnische Identität betont, um die Bildung von Nationalstaaten zu fördern. Im Wesentlichen vertritt der Ethnonationalismus die Ansicht, dass ethnische Zugehörigkeit und gemeinsame kulturelle Merkmale wie Sprache, Religion, Traditionen und Abstammung die Grundlage bilden sollten, um einen Nationalstaat zu definieren und zu gestalten. Das Problem dabei ist, dass diese Ideologie die heterogene Realität einer Gesellschaft ignoriert. Dies kann zur Ausgrenzung verschiedener Minderheiten, zu Menschenrechtsverletzungen und Konflikten führen.

Wie schaffen wir Identität?


In den Sozialwissenschaften wird Identität nicht mehr als angeboren und statisch betrachtet, sondern als dynamisch, kontextabhängig und relational. Sie entsteht durch aktive Prozesse der Selbstwahrnehmung, Selbstdefinition und Selbstpräsentation, die in Wechselwirkung mit sozialen und historischen Kontexten sowie anderen Menschen stehen. Identität wird also kontinuierlich neu aufgebaut und verhandelt, abhängig von den Erfahrungen und Interaktionen im täglichen Leben.

Tanzen ist politisch

Tanz wird innerhalb dieses Rahmens als mächtiges Werkzeug zur Erforschung von Identität betrachtet. Tanz ermöglicht, Gedanken und Emotionen körperlich auszudrücken, die oft schwer in Worte zu fassen sind. Tanz wird daher als Mittel zur Selbstreflexion und Selbstbestimmung angesehen. Insbesondere bei Veranstaltungen der elektronischen Tanzmusik (EDM) gewinnt diese körperliche Erfahrung eine besondere Bedeutung. EDM ist genreübergreifend und dient vor allem dazu, zum Tanzen anzuregen. Sie wird oft bei Clubs, Raves oder Festivals gespielt und zeichnet sich durch ihre körperliche und erlebnisorientierte Natur aus. EDM-Veranstaltungen dienen als Plattformen für körperliche Erfahrungen, die entscheidend für die Identitätsbildung sind. Diese Veranstaltungen sind von Natur aus demokratisch und betonen oft das Erlebnis der Tanzenden mehr als die der DJs. Dies führt dazu, dass die traditionellen Rollen von Künstlern und Publikum verschwimmen und das Publikum aktiv an der Vorstellung teilnimmt. Dieses Engagement kann zu einem Zustand des „Flows“ führen, in dem Individuen in der Menge aufgehen und ihre Identität vorübergehend verlieren. EDM-Veranstaltungen können als politische und gemeinschaftliche Praxis betrachtet werden, da sie ein Gefühl der Gemeinschaft fördern und einen vorübergehenden Raum für selbstorganisierte Ideen und Identitäten schaffen.

EDM

EDM umfasst unter anderem: House, Techno, Trance oder Drum and Bass.

Identitätssuche im postsowjetischen Georgien

Clubs im post-sowjetischen Raum

Clubs haben möglicherweise in post-sowjetischen Ländern eine tiefere Bedeutung angenommen, die über reine Unterhaltung hinausgeht. Angesichts der neu gewonnenen Freiheit und wahrgenommener Enttäuschungen im Zusammenhang mit dem Übergang nach dem Ende der Sowjetunion haben Menschen Alternativen gesucht, um Selbstausdruck und Frustration auszuleben. Diese Clubs bieten solche Möglichkeiten. Im postsowjetischen Raum sind „Spaces of Urgency“ entstanden, wie Berlins Tresor, was ein Symbol für Inklusivität in einem wiedervereinigten Deutschland war.

Spaces of Urgency: Räume der Dringlichkeit

…. ist ein in verschiedenen Kontexten verwendeter Begriff, der Orte oder Räume beschreibt, die besondere Aufmerksamkeit und Maßnahmen zur Lösung dringender Probleme oder zur Sensibilisierung für wichtige soziale, politische oder kulturelle Anliegen erfordern.

In Ländern wie Serbien, der Ukraine und Ungarn hat das Nachtleben politisch turbulente Zeiten begleitet und bot den Menschen einen Zufluchtsort vor der Realität. In diesen Clubs konnten Menschen Selbstausdruck finden, Liebe erleben und sich von gesellschaftlichen Regeln befreien. Das Feiern in diesen Regionen ist zu einer Möglichkeit geworden, politische Ansichten auszudrücken und Freiheit zu suchen.

Bassiani: Wo Rythmus und Wiederstand die Politik aufschüttelt

Als Reaktion auf die Polarisierung und Zersplitterung des Landes fügt sich BASSIANI perfekt in die Debatte über die post-sowjetische Identität ein. BASSIANI ist ein bekannter Techno-Club in Tbilisi. Die Gründung des Clubs erfolgte 2014 in einem verlassenen Schwimmbad. Das Ziel war, nicht nur ein bemerkenswerter Techno-Club zu sein, sondern auch zur Förderung einer progressiven Gemeinschaft in Tiflis beizutragen. Der Club hat sich von Anfang an dem Prinzip des unerschütterlichen Widerstands verschrieben. Sein Name bezieht sich auf die Basiani-Schlacht, die die Einheit und Tapferkeit der Nation symbolisiert. Der Club erregte in 2018 internationale Aufmerksamkeit, als ein umstrittener Polizeieinsatz im Club zu späteren Massenprotesten führte. Diese Bewegung, bekannt als „Rave-o-lution“, verdeutlichte die politische Natur des Clubs. Von Anfang an konzipierte sich BASSIANI als ein Ort des Wandels und setzte sich für politische und soziale Anliegen ein. Der Club engagiert sich in verschiedenen politischen Bereichen, wie LGBTQ+-Rechte und unterstützt die georgische ‚White Noise-Bewegung‘ die sich für eine liberaleren Drogenpolitik einsetzt. Auch die ‚HOROOM NIGHTS‘ eine monatliche queere Partyreihe, fördert die sexuelle Freiheit und dient als sicherer Raum in einer konservativen Gesellschaft. Darüber hinaus bietet BASSIANI Diskussionen und Debatten an. Dies verdeutlicht die enge Verbindung des Clubs zur politischen und sozialen Landschaft Georgiens.

Eine Antwort in vier Spannungsfelder

Inmitten der Polarisierung und Identitätssuche Georgiens bietet BASSIANI eine komplexe und inklusive Antwort. Diese kann in vier Spannungspunkten erklärt werden:

Gegenwart und Vergangenheit

BASSIANI kann als ein Versuch betrachtet werden, eine Brücke zwischen der Gegenwart und der Vergangenheit zu schlagen. Das wird hauptsächlich durch die Verwendung traditioneller Symbole verdeutlicht, die auf die kulturellen Wurzeln Georgiens hinweisen und gleichzeitig neu interpretieren und in die zeitgenössische Clubkultur integriert werden. Interessanterweise füllt der Club diese Bedeutungen durch die Wiederaneignung ehemaliger sowjetischer Räume, die mit neuen Bedeutungen gefüllt werden. Der Club befindet sich in einem verlassenen Schwimmbad des sowjetischen Dinamo-Stadions. Die Wiederaneignung solcher stillgelegten Industriegebäude ist typisch für das Nachtleben in post-sozialistischen Ländern und unterstreicht die Verbindung zur Geschichte und Erfahrung des Landes. Diese Aneignung von Räumen und Symbolen ermöglicht es der jungen Generation, voranzuschreiten, ohne die Geschichte des Landes zu leugnen. Stattdessen akzeptiert sie die Komplexität und Widersprüche dieser Geschichte. Denn die junge Generation, kann bewusst mit ihrer Geschichte und Kultur umgehen, ohne in einer idealisierten Vergangenheit zu verharren, und gleichzeitig diese Vergangenheit als Mittel für die Gestaltung der Gegenwart nutzen.

Lokal und Global

In BASSIANI verbindet das Lokale und das Globale. Der Club verwendet traditionelle Symbole, um den Stolz auf die nationale Identität und die kulturellen Wurzeln auszudrücken. Der Club konzentriert sich hauptsächlich auf lokale Künstler und fördert ihre Musik und Produktionen, was zur kulturellen Entwicklung von Tbilisi beiträgt. Dies zieht auch Menschen von außerhalb des Landes an. Einige international bekannte Resident-DJs von BASSIANI treten in den besten Clubs Europas auf, was den Club zu einem wichtigen Teil der internationalen elektronischen Musikszene gemacht hat. So schafft BASSIANI eine Verbindung zwischen dem Lokalen und dem Globalen und fördert eine lokale Identität in einer zunehmend globalisierten Welt.

Das Individuum und das Kollektiv

Drittens kommt das Individuum als Kollektiv zusammen. EDM ist als eine introspektive Erfahrung bekannt, die das Individuum stärkt, während sie gleichzeitig Das Gefühl von Zugehörigkeit stärkt. Tatsächlich trägt BASSIANIs Aufmerksamkeit für die Sicherheit und das Wohlbefinden der Clubbesucher dazu bei, ihre Individualität auszuleben. Gleichzeitig ermöglicht die Politisierung rund um den Club ein einzigartiges Kollektivitätsgefühl.

Das Private und das Öffentliche

Beim vierten Spannungsfeld geht es um die Verbindung von Privatem und der Öffentlichkeit. Erstens könnte BASSIANI als ein Raum verstanden werden, der einen Übergang von privat zu öffentlich ermöglicht. BASSIANI bietet einen sicheren Ort, aber gleichzeitig fördert er den Wunsch, diese Sicherheit auf die Straßen zu bringen, sie zu beanspruchen und für sie zu kämpfen. Denn das Private ist politisch.

BASSIANI ist nicht nur ein Club; er ist ein Ort, an dem die elektronische Musik zur Triebkraft der Identitätsbildung und des sozialen Wandels wird. In einer Zeit, in der viele post-sowjetische Länder nach ihrer Identität suchen, zeigt BASSIANI, wie die Kraft der Musik und des Tanzes eine neue, inklusive Identität schaffen kann, die Vielfalt feiert und die Spaltung überwindet. Hier wird die Musik zur Botschaft. BASSIANI ist der Beweis dafür, dass die Suche nach Identität im post-sowjetischen Raum eine komplexe Reise ist, die die Musik und die Clubkultur als mächtige Werkzeuge der Veränderung nutzt.

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