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Über meine Grenzen hinaus


Meine Kollegin und ich sitzen im Auto und sprechen über den nächsten Patienten, den wir besuchen wollen. Da erreicht uns ein Anruf aus dem Office: Es gibt einen Notfall, den wir vorziehen sollen. Der Betroffene: Ein vierjähriges Kind mit einem Hirntumor im fortgeschrittenen Stadium.

In meinem ersten Blogbeitrag habe ich berichtet, dass ich während meines Praktikums im palliativen Bereich arbeite und forsche. Das bedeutet nicht zwangsläufig, ausschließlich mit Sterbenden zusammen zu arbeiten. Manchmal geht es auch um eine Linderung von Schmerzen oder anderer einschränkender Symptome. Trotzdem steht für viele der Patienten, die ich in Uganda gesehen habe, der nahende Tod vor der Tür.

Wie machst du das?

Wenn ich danach gefragt werde, wie ich mit solchen Schicksalen umgehen kann, dann zucke ich meistens mit den Schultern. Ich bin dankbar für die Augenblicke, die Patienten mit mir teilen, und freue mich, wenn ich ihnen ihre letzte Zeit ein wenig leichter machen kann. In den meisten Fällen nehme ich ihre Geschichten aber nicht mit nach Hause. Die Betonung liegt auf „in den meisten Fällen“. Natürlich kann ich mich von einigen Schicksalen schlechter abgrenzen als von anderen. Deswegen habe ich für mich beispielsweise bisher ausgeschlossen, im palliativen Bereich mit Kindern und Jugendlichen zusammenzuarbeiten. Aber was ist, wenn die eigenen Vorsätze mit der Realität zusammenstoßen?

In dieser Woche durfte ich eine Kollegin von einem ugandischen Hospiz zu ihren Besuchen bei Patientinnen und Patienten begleiten. Sehr eindrücklich habe ich so die Unterschiede und Gemeinsamkeiten zum deutschen System kennengelernt. Beispielsweise gibt es von dem Hospiz aus, das uns geschickt hatte, kein Zeitlimit für die Besuche. So kann sich genügend Zeit genommen werden, um vernünftig auf die Patienten eingehen zu können. Auch ein Unterschied: Grundsätzlich betreut das Hospiz alle Altersklassen ambulant, es gibt also keine Unterscheidung zwischen auf Kinder und auf Erwachsene spezialisierte Dienste. Notfälle werden aber natürlich auch hier vorgezogen. So kam es zu dem Eingangs erwähnten Anruf. Wir wendeten unser Auto und machten uns auf den Weg in den Norden von Kampala zu dem jungen Betroffenen.

Der Blick in die Akte ließ mich schlucken: Mit drei Jahren hat sich das Kind das erste Mal über Kopfschmerzen beklagt. Als es sich im Krankenhaus vorstellte, war es schon zu spät: der Krebs konnte nicht mehr behandelt werden. Nun ging es darum, die Schmerzen des Jungen zu kontrollieren und der Familie Beistand zu leisten. Als wir ankamen, empfing uns ein fröhliches Gegluckse. Den Umständen entsprechend gut gehe es ihrem Sohn, erklärte uns die sichtlich übermüdete Mutter, aber der Vater mache ihr Sorgen. Je weiter die Krankheit fortschreite, desto mehr meide er seinen Jüngsten. Dieser werde allerdings regelmäßig von seinen Spielkumpanen besucht, worüber er sich sehr freue. Aufgeregt erzählte er uns, dass er bald mit seinen Freunden in die Schule gehen wolle. Auf seine Einschulung fiebere er sehr hin, erzählte uns die Familie bedrückt. Schweigen breitete sich im Raum aus. Uns allen war klar, dass dieses Kind den Tag vermutlich nicht mehr erleben wird. Nur: wer sind wir, ihm diese Hoffnung zu nehmen?

Reflexion zuhause

Mit einem Kloß im Hals bin ich in den Feierabend gegangen. Während meiner vergangenen Praktika wurden solche Einsätze stehts supervidiert. Für alle meine Fragen gab es eine Ansprechpartnerin und hilfreiche Hinweise, wie ich mit solchen Situationen nach der Arbeit umgehen konnte. Hier allerdings war ich zum ersten Mal auf mich allein gestellt. Umso dankbarer war ich dafür, Freunde in Kampala zu haben. Diese standen mir mit einem gemeinsamen Abendessen und einem offenen Ohr zur Seite. Dank den Wundern der Technik war auch ein Telefonat in die Heimat möglich, um über die Situation zu reflektieren.

Immer mal wieder habe ich in den vergangenen Tagen an diesen jungen Menschen und meinen Umgang mit der Situation gedacht. Ist es unprofessionell, dass ich mich gedanklich noch nicht von seinem Schicksal lösen konnte? Ich glaube nicht, im Gegenteil. Ist es nicht gerade die Anteilnahme, die gerade uns Tätigen in diesem Bereich immer wieder deutlich zeigt, wie menschlich wir sind?

Heute Morgen konnte ich zum ersten Mal mit einem Lächeln an den übersprudelnden Lebensmut des Kindes denken. Ja, es wird möglicherweise nicht zur Schule gehen. Aber wie Paul Kalanithi schon schrieb: „Even if I’m dying, until I actually die, I am still living.“. Und dieses Kind, mit all seiner Freude und seinen Tränen: Es lebt.

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