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489 Seiten in sieben Tagen Plötzlicher Auftakt zur Klausurenphase


Ich habe selten in meinem Leben so intensiv gelernt wie in der vergangenen Woche. „Technologien der audiovisuellen Medien“: Als ich den Kurs von Deutschland aus belegt habe, hielt ich ihn für den einfachsten in meinem Stundenplan. In den letzten Tagen sollte ich diese Meinung ändern. Doch am Ende kam alles anders als erwartet.

Ein Uni Collegeblock

Wir sind eine sechsköpfige Arbeitsgruppe im Kurs „Technologien der audiovisuellen Medien“ – Gruppe 2B. Im Laufe des Semesters haben wir zusammen mehrere Praxisaufgaben absolviert, aber das beschreibe ich im nächsten Artikel etwas ausführlicher. Wichtig ist gerade nur, dass diese Gruppe 2B nicht mit einer Klausur gerechnet hatte – und dass sie echt nervös wurde, als der Professor den Termin veröffentlichte. Innerhalb von sieben Tagen sollte es soweit sein.

„Wie? Klausur?!“, heißt es im WhatsApp-Chat der Gruppe 2B auf Spanisch. Es folgen eine ganze Reihe anderer Nachrichten, die ich in Weihwasser baden müsste, ehe ich sie in diesem Artikel wiederhole. Ein paar leicht zensierte Auszüge:

„Aber das ist doch ein ****** Praxis-Seminar! Und wir hatten doch wegen diesem **** Corona nur ein ***** Drittel der **** Stunden!!! (wütendes Emoji)“

Das stimmte irgendwie. Aber im „Evus“, der Online-Plattform, die die Universidad de Sevilla nutzt, gab es tatsächlich einen Ordner mit Theorie-Inhalten zum Seminar. Ich öffne den nun zum ersten Mal.

Klick. Klick.

Und ich habe 489 Seiten vor mir.

Sechs Tage in Jogginghose

„Das wird jetzt etwas länger dauern“, denke ich und mache es mir bequem. Beim ersten Durchlesen, das zwei Tage dauert, verstehe ich kein Wort. Ich kriege online zwei Altklausuren in die Finger … und sie sind brutal.

„HMI-Lampen haben eine Farbtemperatur von …

a) 2.800 Kelvin

b) 5.500 Kelvin

c) 4.800 Kelvin“

(Antwort b ist korrekt.)

Die nächsten sechs Tage stehe ich daher quasi nicht vom Schreibtischstuhl auf. Seit ein paar Monaten verzichte ich auf Koffein, aber in dieser Woche mache ich eine Ausnahme. Der Stoff, den der Professor bereitgestellt hat, ist interessant, aber man hätte ihn auch getrost auf vier Semester verteilen können.

Der Tag vor der Klausur

Am Tag vor der Klausur sind wir in der Uni. Wir müssen noch drei Filmprojekte für denselben Kurs einreichen. Eine Kommilitonin ist seltsam entspannt, sie habe noch nicht mit dem Lernen begonnen und fragt den Professor, was denn in der Klausur drankommen würde.

Ich lache süffisant.

„Alles, was wir im Seminar behandelt haben.“

Dann lache ich nicht mehr. Wegen der Corona-Auflagen hatte das Seminar bloß alle drei Wochen stattgefunden. Die sechs Stunden sind dann jede Woche größtenteils dafür draufgegangen die Videokamera, das Schnittprogramm oder das Tonstudio zu erklären. Theorie hat es im Grunde gar nicht gegeben.

„Ja Leute“, sagt der Professor weiter. „Eine Frage könnte doch zum Beispiel sein: ‚Wenn eine Figur in einer Kameraeinstellung rechts aus dem Bild geht, von welcher Seite kommt sie dann in der nächsten Einstellung INS Bild?‘“

Für diejenigen, die auf dem Schlauch stehen: von links. Für Studierende meines Fachs ist diese Frage in etwa auf dem Niveau der ersten Frage bei „Wer wird Millionär?“. Und jeder, der sowas mal gedreht hat – und das haben wir getan – macht es eigentlich intuitiv richtig.

„Ähm … und das Nyquist-Theorem? Kommt das auch dran?“, frage ich.

„Was für ein Ding?“

„Steht auf einer der 489 Seiten im Theorie-Ordner! Ich habe sie durchgekaut …“

„Etwa alle? Oh! Das war doch die weiterführende Literatur zur freiwilligen Vertiefung. Ich habe aber doch in der ersten Veranstaltung gesagt, dass in der Klausur nur das rankommt, was wir auch im Seminar besprechen.“

Ich atme tief durch. Möglich, dass er es gesagt hatte, aber ich habe es – schlicht und ergreifend – nicht mitbekommen. Und die anderen aus Gruppe 2B offenbar auch nicht.

Ich hatte mich in der letzten Woche mit der Funktionsweise von piezoelektrischen Mikrofonen (und fünf anderer Bauarten) beschäftigt. Ich hatte die Wärmetemperaturen von Ziegeln, Himmelblau und Halogen-Metalldampflampen auswendig gelernt. Wusste, welche Wellenlänge hörbare Geräusche und sichtbare Farben haben und wie sie in einer Kamera mit Teleobjektiv gebündelt werden. Und bei meinem nächsten Kauf einer Videokamera mit CCD- oder CMOS-Sensor, da würde mich keiner übers Ohr hauen. Ich würde dem Verkäufer sein Namensschild abnehmen und sagen „Geh ruhig einen Kaffee trinken, ich übernehme hier so lange. Und sag den Kollegen von der Retourannahme Bescheid. Wenn der aktiv-passive Radiator des Bafles in einem Tweeter unter seiner Leistungsgrenze von etwa 20 KHz schlapp macht und im Multimeter über 3.000 Ohm anzeigt … gebt mir einen Schraubendreher und ich reparier euch das Ding.“

(Im letzten Satz ging es übrigens um Lautsprecher. Aber rein technisch macht es wahrscheinlich keinen Sinn.)

„Gehirn“, sage ich, „bitte verlade das alles vom Kurzzeit- ins Langzeitgedächtnis!“

„Kannste knicken!“, sagt Gehirn.

20 Kreuze für ein Halleluja

Am nächsten Tag ist die Klausur dann also recht simpel. Sie wird direkt vor Ort ausgewertet und mit der Note 9 (von 10) bin ich tatsächlich Klassenbester. Mit gezielterem Lernen hätte ich mir aber einige Nerven erspart.

Die Moral von der Geschichte

Kommilitonen in der Gruppenarbeit haben nicht immer recht. Erasmus-Studierende bekommen manchmal nur 98 Prozent der organisatorischen Dinge mit, da ist es schon mal ganz hilfreich den wichtigen Teil zu wiederholen (vielleicht auch auf Englisch). Und an alle Lehrende da draußen: Markiert weiterführende Literatur doch auch bitte als solche!

 

Danke!

Euer Adrian

Kommentare
  1. Nicole L

    26. Januar 2021

    Großes Lob für diesen Text. Ich fühle mich gut unterrichtet und sehr gut unterhalten ! Freundliche Grüße von Nicole L.

    1. Adrián

      1. Februar 2021

      Danke dir, Nicole!
      🙂

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