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Interview: „Ein guter Arzt ist ein gut vernetzter Arzt“

Gibt es den perfekten Zeitpunkt, während des Medizinstudiums ins Ausland zu gehen, und wohin eigentlich – in ein medizinisch hoch entwickeltes Land oder bietet der Umgang mit wenigen Ressourcen den größeren Mehrwert? Warum es heute nicht mehr reicht, nur die Methoden, Strukturen und die Kultur des eigenen Landes zu kennen, erzählt Professor Dr. Abdel Meguid Kassem, Gastroenterologe und Professor für endemische Krankheiten an der Universität Kairo, im Interview.

Interview Dossier Medizin: Zu sehen ist Professor Dr. Abdel Meguid Kassem, Gastroenterologe und Professor für endemische Krankheiten an der Universität Kairo.
Professor Dr. Abdel Meguid Kassem, Gastroenterologe und Professor für endemische Krankheiten an der Universität Kairo. Fotocredit: Abdelmeguid Kassem

Herr Professor Dr. Kassem, Sie haben Ihre Ausbildung zum Mediziner in Ägypten und in Deutschland absolviert und damit auch vergleichen können. Worin liegen die Stärken der deutschen Ausbildung?

Das Medizinstudium in Deutschland hat eine lange und sehr gute Tradition. Es ist sehr strukturiert aufgebaut. Die Technik wird voll ausgeschöpft – auch für die Lehre und das Training in der Praxis. Verglichen mit Ägypten ist die Anzahl der Studierenden in einem Seminar oder in einem Praktikum viel geringer als in Ägypten. Das bietet natürlich bessere Voraussetzungen für Studierende und auch für Dozentinnen und Dozenten. Es ist zudem sehr gut, dass Medizinstudierende in Deutschland früh in die Praxis gehen. Nach dem ersten Staatsexamen steht schon die Famulatur an – ideal für praktische Erfahrungen und besonders auch für den Kontakt zwischen den angehenden Medizinerinnen und Medizinern und den Patientinnen und Patienten.

Worin unterscheidet sich das Medizinstudium in Deutschland und in Ägypten?

Das Medizinstudium in Ägypten steht zurzeit vor einer großen Herausforderung. 2016 wurde eine große Reform des Medizinstudiums eingeleitet: Das Medizinstudium soll viel praxisnäher werden. Man will von der traditionellen konventionellen Form des Medizinstudiums abweichen, bei der akademische Fächer zuerst auf dem Lehrplan stehen. Klinische Fächer sollen früher eingebracht werden, das Medizinstudium soll verkürzt werden, dafür soll das PJ auf zwei Jahre verlängert werden.

Welche Erfahrungen haben Sie als Medizinstudent in Deutschland sammeln können?

Ich habe als Student in Hannover, München und Münster in der Klinik famuliert und in Münster auch im akademischen Bereich praktiziert, in einem Labor innerhalb eines physiologischen Instituts. Das hat mir viele Chancen eröffnet. Ich konnte als Student die Praxis in der Klinik und in der Forschung wirklich erleben, anfassen und mitmachen. Und das war für mich schon eine sehr, sehr große Chance.

War Deutschland Ihre erste Wahl?

Ich hätte mir auch vorstellen können, woanders hinzugehen. Aber für mich waren die Kontakte zu Deutschland, zu deutschen Kliniken und dass ich die Sprache spreche, ein Vorteil. Als Famulus hat man schon mit Patientinnen und Patienten zu tun und da muss die Sprache fast auf muttersprachlichem Niveau sein.

Welche Möglichkeiten haben deutsche Medizinstudierende in Ägypten?

Es gibt einen internationalen Famulanten-Austausch und Ägypten beteiligt sich daran. Wir empfangen Kolleginnen, Kollegen und Studierende aus Deutschland. Ich würde es sehr begrüßen, das zu intensivieren. Die Famulatur ist eine gute Möglichkeit, die sich für deutsche Studierende in Ägypten anbietet.

Gibt es den perfekten Zeitpunkt, um während des Medizinstudiums im Ausland Erfahrungen zu sammeln?

Im Studium nicht unbedingt, würde ich sagen. Auf das Studium kann man sich gut in der eigenen Heimat und an der eignen Universität konzentrieren. Aber die Praxis in anderen Ländern zu suchen, das heißt Famulatur, PJ, aber auch in der Assistenzzeit, dass muss man möglichst machen. Idealerweise in bunt gemischter Form – heißt auch in einem Entwicklungsland.

Ich bin prinzipiell ein sehr großer Befürworter für einen frühen Kontakt zur Außenwelt. Man sieht ja gerade jetzt, wie bunt Europa ist oder wird. Es gibt kulturelle Differenzen, kulturelle Unterschiede zwischen Patientinnen und Patienten. Es gibt viele verschiedene Wahrnehmungen, es gibt verschiedene Hemmungen und die Möglichkeit zu haben, in verschiedenen Systemen Erfahrungen mit Patientinnen und Patienten zu machen – das ist ein großes Plus.

Ein großes Plus, das zur Ausbildung im Medizinstudium heute dazugehört?

Es gehört heute zum Studium dazu, finde ich. Betrachtet man zum Beispiel die Aufklärung einer deutschen Patientin oder eines deutschen Patienten über eine Darmspiegelung, einen Abstrich bei einer Dame oder über die Möglichkeit zur Transplantation, dann verläuft diese Kommunikation anders als zum Beispiel mit jemanden aus dem Nahen Osten oder Indien. Diese Kommunikation muss anders verlaufen. Da bestehen Hemmungen und Barrieren, die man überwinden muss, und zum Arzt sein gehört vor allem in diesen Zeiten ein sehr großes kulturelles Verständnis. Das kann man nur über Jahre aufbauen, indem man woanders gearbeitet und selbst etwas anderes gesehen hat.

In Ländern zu arbeiten mit weniger Ressourcen, das ist eine Herausforderung und die muss man auch kennen. Das war zum Beispiel bei mir ein Plus, weil ich in Ägypten unter ganz anderen Umständen mit wenig Ressourcen auskommen musste.

Würden Sie den folgenden Satz bitte vervollständigen: Medizinstudierende sollten Auslandserfahrung sammeln, weil …

… es ohne interkulturelles Verständnis heute nicht mehr geht! Darum geht es und nicht darum, in einer Blase zu sitzen. Denn das ist das Gefährliche: nur den einen Weg zu kennen, nur die eine Methodik, nur die eine Kommunikationsrichtung und nur die eine Kultur. Das funktioniert heute einfach nicht mehr. Es hat auch vor Jahren schon nicht funktioniert, aber es ist heute umso wichtiger, den Studierenden das mitzugeben. Es geht nicht nur darum, Arzt zu sein, sondern es ist viel mehr. Viel größer und viel wichtiger sind die Kommunikation und der Umgang miteinander.

Ich habe in Äthiopien deutsche Studierende getroffen. Es war fantastisch, wie begeistert die jungen Kolleginnen und Kollegen waren. Das eröffnet ihnen wirklich viele Möglichkeiten. Sie kommen zurück mit einem ganz anderen Verständnis von Medizin, einer ganz anderen Wahrnehmung, was Medizin alles sein kann.

Würden Sie sagen, dass mehr Medizinstudierende ins Ausland gehen als noch vor ein paar Jahren?

Corona hat ja leider einiges eingedämmt und ich habe keine genauen Statistiken. Wenn ich mich aber so umsehe, zum Beispiel in Ägypten, gehen schon viele ins Ausland, entweder für ein paar Wochen oder paar Monate oder sogar Jahre. Allerdings gehen sie bloß in eine Richtung – in ein medizinisch hoch entwickeltes Land, um da Techniken zu lernen und um Erfahrungen zu sammeln. Das ist auch gut, das brauchen wir, das braucht das Land auf jeden Fall. Aber ich plädiere sehr dafür, dass man auch in einer anderen Richtung geht – in afrikanische Länder oder weniger medizinisch privilegierte Länder in Asien. Die Berührungen hier sind so wichtig. Wenn es die Möglichkeit gibt, empfehle ich immer beide Richtungen einzuschlagen

In welchen Ländern ist nach Ihren Erfahrungen die medizinische Ausbildung besonders gut?

Deutschland zählt zu den Ländern, wo gute Medizin praktiziert wird. Die Schweiz auf jeden Fall, England und Kanada.

Auf den Punkt gebracht: Drei Erfahrungen, die Sie in Ihren eigenen Auslandsaufenthalten geprägt haben?

Erstens: Der Fokus sollte immer auf der Patientin oder dem Patienten liegen und dem jeweiligen kulturellen Hintergrund. Es geht nicht nur um die Theorie, sondern um eine praktische Nähe zu den Patientinnen und Patienten. Zum Zweiten: Technik muss richtig eingesetzt werden. Das ist die große Herausforderung – nicht immer muss zum Beispiel ein CT sein. Es muss selektiv gearbeitet werden, das basiert natürlich auch auf Erfahrungen, die man auch im Ausland gemacht hat in medizinisch hoch oder weniger hoch entwickelten Ländern. Und drittens: ein Netzwerk aufbauen. Es bedarf schon sehr vieler social skills – innerhalb der eigenen Institution, der eignen Stadt, aber auch international. Dazu gehört natürlich auch ein gutes Fachwissen und clinical skills, also klinische Fertigkeiten – das ist sehr sehr wichtig. Für mich ist ein guter Arzt ein gut vernetzter Arzt – am besten zuhause wie international. Das ist ein Plus für jeden erfolgreichen Mediziner.

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