30. April 2025
Mein Auslandssemester in Ungarn besteht aus vielen interkulturellen Kontakten, Ausflügen und dem Leben in einer lebendigen Großstadt – gleichzeitig spannt sich das politische Klima im Land immer mehr an. Wie ich die Situation als Erasmusstudentin erlebe und wie es mir damit geht, könnt ihr im Text lesen.
Was ist aktuell politisch los?
Mitte April 2025 wurde in Ungarn ein Gesetz verabschiedet, welches es der Regierung zukünftig ermöglicht Versammlungen zu verbieten und den Organisatoren als auch Teilnehmenden hohe Geldstrafen anzulasten. Zudem kann chinesische Spyware zur Gesichtserkennung auf den Demonstrationen genutzt werden. Dieses Gesetz richtet sich auch gegen die jährliche Pride-Parade. Mit Bezug auf den Kinderschutz wurden in den vergangenen Jahren immer wieder Gesetze gegen die queere Community, umgesetzt. Beispielsweise sind Werbungen oder Bücher mit Darstellungen von queeren Personen verboten. Seit dem Frühling werden gesetzlich nur noch Frauen und Männer anerkannt. Non-binäre Personen werden damit vor dem Gesetz unsichtbar. Mit diesen Entscheidungen bricht Ungarn immer wieder europäisches Gesetz.
Seit dem Verbot der Pride Parade finden jetzt wöchentlich Demonstrationen in Budapest statt. Viele Menschen äußern dort ihren Ärger über die Politik in Ungarn und wollen sich für die diskriminierten Gruppen einsetzen.
Alltag im Spannungsfeld
Als Erasmusstudentin findet der Großteil meines Auslandssemesters natürlich in einer internationalen Gruppe statt, das Leben und der Alltag der Locals ist meistens weniger leicht nachzuempfinden. Dennoch habe ich in Gesprächen mit Ungarn immer wieder eine Unzufriedenheit mit den Entwicklungen im Land herausgehört. Viele Menschen wollen ein Zeichen gegen die politischen Entscheidungen setzen und sich nicht damit zufriedengeben. Andere Menschen überlegen, das Land langfristig zu verlassen. Bei diesen Beobachtungen ist natürlich zu bedenken, dass Budapest als große, internationale Stadt eine eher progressive politische Färbung hat, als die Menschen in kleineren Dörfern und Städten.

Dennoch spreche ich viel über diese Gespräche mit anderen Studierenden. Gerade die aktive Umsetzung solcher Gesetzesbrüche in der Europäischen Union lässt mich mit einem eher hoffnungslosen Blick auf die Zukunft zurück. Auch wenn uns diese Entscheidungen als Internationals nicht langfristig betreffen, finde ich es wichtig mir bewusst zu machen, was solche Gesetze für die Menschen im Land bedeuten. Gegen Gefühle der Hilflosigkeit, hilft es mir, mich auszutauschen, auf queere Menschen in meinem Umfeld zu achten und klar für grundlegende Menschenrechte einzustehen.
Die Uni als Schutzraum
Gerade in der Universität finden viele Gespräche über die aktuellen politischen Entwicklungen in Ungarn statt – immer wieder mit dem Blick auf den Journalismus und die Meinungsfreiheit. Dabei nehme ich meine Universität als sehr offen und kritisch war. Die Dozenten erklären die Lage im Land und geben immer wieder Anreize dazu zu diskutieren. Dadurch ergeben sich spannende Gespräche und immer wieder auch neue Learnings über Ungarn – das Mediensystem, die Protestkultur und die Stadt-Land-Unterschiede.
Auch diese Freiheit ist auch in Ungarn nicht mehr selbstverständlich, in den letzten Jahren wurden immer mehr staatliche Universitäten in die Hände von regierungsnahen Stiftungen gegeben, sodass die Regierung mehr Einflussnahme auf Lehrpersonen und Inhalte hat. Die ELTE Universität befindet sich bisher nicht unter einem so starken Einfluss. So oder so trägt sicher aber auch die große internationale Kultur auf dem Campus zu diesem stetigen Austausch bei. Mit so vielen verschiedenen Perspektiven ist ein Diskurs zu aufgeheizten politischen Themen quasi unumgänglich.
Zwischen Restriktion und Offenheit
Meine Zeit in Budapest war auf jeden Fall ein Realitätscheck für die vielen Privilegien einer gelebten und offenen Demokratie – Dinge, die ich doch für selbstverständlicher als gedacht, genommen habe. Gleichzeitig spüre ich auch eine Ambivalenz: einerseits höre ich von den Folgen einer restriktiven Politik, andererseits erlebe ich die vielen Perspektiven und die Offenheit der internationalen Community als auch den Locals hier in Budapest.
Meinen Alltag lebe ich also ganz normal, so wie ich das in Deutschland auch machen würde – das Gefühl dabei ist aber schon ein anderes. Meine Wahl für Budapest bereue ich nicht, eher im Gegenteil: Für meine persönliche Entwicklung als auch für mein Verständnis von Solidarität und Verantwortung für eine offene Gesellschaft hat mich die Zeit hier sehr viel weiter gebracht. Aus meinen Erfahrungen hier braucht es dafür vor allem Sichtbarkeit und Engagement als auch ein kritisches Bildungssystem und interkulturellen Austausch.