16. April 2025
Mein Auslandssemester hat meine Sicht auf das Fach Deutsch als Fremdsprache deutlich verändert. Auch meine eigenen Erfahrungen als Student haben mir gezeigt, dass die Lernkultur in Brasilien sich deutlich von der in Deutschland unterscheidet. Das gilt besonders für den geisteswissenschaftlichen Bereich und vor allem für die Sprachlehre.
Bereits in Hamburg habe ich erste Erfahrungen als Sprachlehrer gesammelt. An einer großen Hamburger Sprachschule habe ich Deutsch als Zweitsprache unterrichtet. Die meisten meiner Schüler waren in ihren Zwanzigern oder Dreißigern und benötigten Deutschkenntnisse für berufliche oder akademische Zwecke. Einige von ihnen arbeiteten sogar für Konsulate. Hauptsächlich hatte ich morgens von neun bis zwölf einen Intensivkurs, manchmal aber auch Privatkurse am Abend. Die Kurse hatten stets ein klar definiertes Level nach dem gemeinsamen europäischen Referenzrahmen. Dieser spielt hier im Sprachzentrum keine so große Rolle.
Schnelles Tempo und hoher Leistungsdruck
Was mir dabei besonders aufgefallen ist, betrifft das Unterrichtstempo. In Deutschland ist der Unterricht deutlich schneller. Themen werden kurz erklärt, direkt angewendet und dann wird auch schon zum nächsten Thema übergegangen. Der Leistungsdruck ist relativ hoch. Zwar ist die Atmosphäre im Klassenzimmer meist entspannt, dennoch verfolgen die meisten Schüler ein klares Ziel: Sie wollen schnell ein bestimmtes Deutschniveau erreichen. Davon hängt oft viel ab, zum Beispiel ein Arbeitsplatz oder die Aufenthaltsgenehmigung. Wenn das Sprachniveau nicht ausreicht, stehen wichtige persönliche und berufliche Perspektiven auf dem Spiel. Entsprechend hoch sind auch die Erwartungen an die Lehrkräfte. Viele Schüler beherrschen bereits zwei Fremdsprachen, manche sogar drei oder vier.
Lernen aus Interesse: Deutsch in Campinas
Am Unicamp in Brasilien erlebe ich den Sprachunterricht ganz anders. Hier unterscheiden sich vor allem das Lerntempo, die Motivation und die Zielsetzung. Viele meiner Studierenden, besonders in den fortgeschrittenen Kursen, lernen Deutsch aus reinem Interesse. Einige möchten ein Auslandssemester absolvieren, während nur wenige planen, langfristig in Deutschland zu leben oder zu arbeiten. Besonders Studierende der Philosophie interessieren sich für die deutsche Sprache, weil sie Werke von Marx, Hegel oder Freud im Original lesen möchten.
Das Lerntempo hier ist insgesamt deutlich langsamer. Der Unterricht legt hier besonderen Wert auf authentische Texte. Didaktisch vereinfachte Materialien spielen eine eher untergeordnete Rolle. Das hängt auch damit zusammen, dass viele Studierende vermutlich nie nach Deutschland reisen werden. Ihre Begegnung mit der deutschen Sprache findet hauptsächlich über Texte statt. Aus diesem Grund stellt der mündliche Ausdruck oft eine große Herausforderung dar. Viele haben Hemmungen zu sprechen, und die meisten haben bisher höchstens Englisch als einzige Fremdsprache gelernt.
Weniger Kontakt mit Fremdsprachen
Brasilien ist ein sehr großes Land. Viele Menschen haben nie ihren eigenen Bundesstaat verlassen. Allein der Bundesstaat Minas Gerais ist flächenmäßig so groß wie Spanien. Aufgrund dieser geografischen Dimensionen werden in Brasilien konsequent alle Menschen, die nicht brasilianisch sind, als „Gringos“ bezeichnet. Dabei spielt es keine Rolle, ob sie aus Deutschland, Korea, den USA oder Peru stammen. In anderen Teilen Lateinamerikas wird dieser Begriff nicht so allgemein verwendet. In Europa sind wir außerdem viel schneller in einem anderen Land mit einer anderen Sprache. Zwar spricht man in Brasilien nicht nur Portugiesisch, sondern zum Beispiel auch viele indigene Sprachen, dennoch ist der Kontakt zu diesen Sprachen bei den meisten nicht so hoch. Die Mehrheit meiner Schüler ist hauptsächlich mit dem Portugiesischen konfrontiert.
Der Erwerb von Fremdsprachen ist in Brasilien nicht so selbstverständlich wie in Europa. Besonders diejenigen Studierenden, die Deutsch sprechen, haben häufig Privatschulen besucht. Laut einem Bericht des Auswärtigen Amtes aus dem Jahr 2020 ist der Deutschunterricht an öffentlichen Schulen stark zurückgegangen. Dieser Rückgang hat sich auch nach der Pandemie nicht erholt. Universitäten wie die Unicamp sind deshalb auf DAAD-Lehrassistentinnen und -assistenten angewiesen, um zusätzlich zu den Grundkursen auch fortgeschrittene Deutschkurse anbieten zu können.
Ein wertvoller Einblick für mich
Für mich als angehende DaF-Lehrkraft ist es eine besonders wertvolle Erfahrung, im Ausland zu unterrichten. Ich lerne hier nicht nur viel für die Praxis, sondern auch für meine zukünftige Arbeit im Bereich der Hochschullehre, für Weiterbildungen und für den interkulturellen Umgang mit Lernenden. Ich bin dankbar, diese Erfahrungen gemacht zu haben – sie haben mir nicht nur gezeigt, wie vielfältig Sprachunterricht sein kann, sondern auch, wie wichtig es ist, sich auf neue Lernkulturen einzulassen und dabei selbst immer wieder dazuzulernen.