6. April 2025
Seit einigen Wochen lebe ich nun in Istanbul. Der Alltag ist geprägt von neuen Eindrücken, Sprachbarrieren, einem anderen Hochschulsystem – und einer Stadt, die viel zu bieten hat: geschichtsträchtige Orte, vielfältiges Essen, eine lebendige Kultur und ein intensives Stadtleben. Doch seit Kurzem ist auch die politische Situation ein präsenter Teil meines Alltags.
Was ist überhaupt passiert?
Am 19. März 2025 wurde der Istanbuler Bürgermeister Ekrem İmamoğlu von der türkischen Polizei unter dem Vorwurf der Korruption und Unterstützung terroristischer Aktivitäten festgenommen. Zusammen mit ihm wurden über 100 weitere Personen, darunter enge Mitarbeiter und Geschäftsleute in Gewahrsam genommen. Infolge der Festnahme kam es landesweit zu Protesten, bei denen zehntausende Menschen ihre Solidarität mit İmamoğlu bekundeten und seine Freilassung forderten.
Kurz nach der Festnahme wurde in Istanbul und weiteren Städten Versammlungsverbote erlassen und es gab zeitweise Einschränkungen bei der Nutzung sozialer Medien. Zugänge zu Plattformen wie Instagram oder WhatsApp funktionierten nur eingeschränkt oder verzögert. Für mich eine komplett neue und befremdliche Situation. Inzwischen ist der Zugang wieder weitgehend normalisiert.
Veränderungen an der Universität
Auch auf dem Campus meiner Gasthochschule der Marmara Universität macht sich die Lage bemerkbar. Verstärkte Polizeipräsenz auf und besonders vor dem Universitätsgelände, Kundgebungen auf dem Campus durch vermummte Studierende sowie Demonstrationen.
Der Studienalltag verläuft trotzdem weiterhin meist regulär weiter. Für mich jedoch stellen diese Umstände eine Hürde dar, die Universität zu besuchen und auch meinen Aufenthalt dort zu genießen.
Alltag und Stadtleben
Das Leben in der Stadt gestaltet sich derzeit mit erhöhter Aufmerksamkeit für die Umgebung. Seit der Festnahme İmamoğlus ist im Stadtbild eine deutlich verstärkte Polizeipräsenz spürbar – vor allem an zentralen Plätzen. Der Taksim-Platz wurde zeitweise komplett gesperrt und auch nicht mehr von der Metro angefahren. Als Fußgänger:in kann es passieren, dass man spontan an Kundgebungen oder Demonstrationen vorbeikommt oder Umwege in Kauf nehmen muss. Das Viertel, in dem ich lebe (Kadiköy) und allgemein die asiatische Seite Istanbuls ist ruhiger als die europäische jedoch auch betroffen. Ich habe auch von anderen Studierenden gehört, dass die Events für Erasmus Studierende bis auf Weiteres abgesagt wurden.
Trotz dieser Umstände findet das Leben in Istanbul weiterhin in all seinen Facetten statt – mit Cafés, vollbesetzten Straßenbahnen, Studierenden auf dem Weg zur Uni und einem dichten kulturellen Angebot. Als Austauschstudierende:r bewegt man sich mitten in dieser Dynamik.
Wie geht es nun für mich weiter?
Das Erasmus-Semester in Istanbul ist für mich mit vielen neuen Erfahrungen verbunden. Die politischen Entwicklungen prägen nun meinen Aufenthalt in einer Weise, die ich vor meiner Ankunft nicht antizipiert hatte. Sie sind jetzt Teil meines Erfahrungsraums und erweitern meinen Blick auf universitäres Leben und gesellschaftliche Kontexte. Unsicher habe ich mich in Istanbul noch nicht gefühlt und mein Erasmus abbrechen werde ich auch nicht, jedoch gehe ich inzwischen mit einer gewissen Vorsicht durch die Stadt. Wie sich die Situation in Istanbul – oder in der Türkei insgesamt – weiterentwickeln wird, bleibt für mich ungewiss, besonders im Bewusstsein, dass sich die Lage jederzeit rasch verändern oder zuspitzen kann.