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Saudades de Lisboa


In ein paar Tagen fliege ich zurück nach Lissabon. Dieser Bericht ist ein Rückblick auf meine frühzeitige Abreise aus Lissabon wegen Corona, ein Blick auf meine Pause vom Auslandssemester in Deutschland und ein Ausblick auf meine Rückkehr nach Lissabon.

Der Gedanke, dass ich auch einfach hätte dortbleiben können, schiebt sich mir öfter, als mir lieb ist ins Bewusstsein. Er stört, und ich probiere ihn dann immer wegzuschieben, aber er hat sich in einer Ecke meines Gehirns eingepflanzt. Gerade jetzt, wo ich in ein paar Tagen wieder zurückfliege, macht er sich besonders breit. Was mich dabei am meisten nervt, sind die zwei ‚unnötigen‘ Flüge, durch die mein ökologischer Fußabdruck dieses Jahr noch mal um einiges in die Höhe schießt. Und das, wo ich mir vorgenommen hatte, eigentlich gar nicht mehr innereuropäisch zu fliegen und aus Portugal mit dem Zug zurück nach Deutschland zu fahren. Das hat ja wunderbar geklappt. Nicht. Ja, aus ökologischer Sicht hätte ich einfach dort bleiben sollen, und zwar so lange, bis ich problemlos mit dem Zug wieder durch Europa reisen kann.

Habe ich aber nicht gemacht, sondern mich in das nächstbeste Flugzeug gesetzt, ohne viel darüber nachzudenken. Denn durch COVID-19 wurden innerhalb weniger Tage alle Unis geschlossen, alle Läden, Restaurants und Bars machten zu, es herrschte Ausnahmezustand. Austauschstudierende reisten in Scharen in ihre Heimatländer zurück. Ich bekam zunehmend panische Anrufe und Nachrichten von Eltern und Familie. Die Flugpreise explodierten. Und da wurde halt kurzerhand eine spontane Entscheidung getroffen. Was ich aus der Entscheidung gelernt habe: Mein Umweltbewusstsein ist wohl noch nicht ganz in meinem Unterbewusstsein angekommen und in Ausnahmesituationen steht die Familie nun mal an erster Stelle.

Mein Freund und ich liegen im Gras.
Nils und ich.

Abgesehen von den zwei zusätzlichen Flügen – durch die ich nun auf meine Mission des nachhaltigen Lebens erst mal den Stempel ‚FAIL‘ drauf drücken kann – bin ich aber über die Zeit, die ich nun dank Corona in Deutschland verbracht habe, gar nicht so unglücklich. Denn sonst hätte ich wohl nie anderthalb Monate im alten Haus meiner Großeltern gelebt, das nach und nach zu meiner selbst ernannten Villa Kunterbunt wurde. Ja, die anfängliche Depression und Lustlosigkeit nach dem ‚Ruheschock‘ auf dem Land wich erstaunlich schnell einer kindlichen Freude, als ich begriff, dass sich nun aus dieser wirren Situation heraus ein Kindheitstraum erfüllen würde: ich allein mit meiner Lieblingsperson (meinem Freund Nils) in meinem Lieblingshaus umgeben von Blumenwiesen und einem Mammutbaum und niemandem, der mir sagt, was ich tun oder lassen soll.

Und so bin ich die letzten Wochen viel durch Blumenwiesen gerannt, habe den Wald erkundet, bin mit dem Fahrrad an Rapsfeldern vorbeigefahren, in der Sonne eingeschlafen, habe von meinem eigenen Baumhaus geträumt und Sonnenblumen gepflanzt. In meinem Arbeitszimmer mit Dachfenster habe ich mich stundenlang in die Wolken vertieft und in Hausarbeitsthemen übers Anthropozän, Postwachstumsökonomie und eine neue ‚Human Ecology‘. Habe oft mein Arbeitszimmer in den Garten verlegt und versucht so viel Zeit wie möglich damit zu verbringen, so zu leben, wie mein 10-jähriges Ich es damals gerne gemacht hätte.

Mein Handy bleibt da schon mal gerne tagelang irgendwo in der Ecke liegen und Uhren sind auch zweitrangig. Ich backe Schokokuchen zum Frühstück – darüber freut sich Nils auch immer – und setze mich dann auf meinen Lieblingsplatz auf dem Dach und beobachte die Vögel durch das alte Fernglas meines Opas. Oder ich laufe in mein Lieblingsnaturgebiet und lege mich ins Moos zu den Schmetterlingen oder beobachte die Kaulquappen in dem großen Tümpel. Seit ich so lebe, verfliegen die Tage hier nur so und abends sitzen Nils und ich beim Feuer und schauen in die Sterne. Mittlerweile erkennen wir sogar schon ein paar Sternbilder und Planeten. Manchmal packen wir uns abends auch eine Decke und einen Picknickkorb und setzen uns auf eine große Wiese, auf der man der Sonne wunderbar beim Verschwinden zusehen kann. Dann zählen wir die Autos, die auf der fernen Straße vorüberrauschen und gucken zu, wie langsam alles röter wird und wie sich Farben und Formen am Himmel verändern. Venus ist immer der erste Stern, der dann am Himmel aufblinkt und manchmal sieht man auch den Mond. Ja, diese zeitlose unbeschwerte Zeit, die mir die Corona-Krise beschert hat (das Leben kann manchmal ganz schön (bitter)süß sein) hätte ich sonst nie gehabt, oder besser, ich hätte sie mir sonst nie genommen, weil im Alltag sonst immer irgendwas ‚wichtigeres‘ ansteht, was sich nicht so leicht wegschieben lässt. Was ich also noch gelernt habe: Man hat nie keine Zeit, Zeit ist immer da, man muss sie sich nur nehmen. Und es ist wichtig, sie sich auch für sinnlose Dinge zu nehmen, für Dinge, die keinen Zweck erfüllen und einen nicht weiterbringen. Ja, für diese Dinge ist Zeit eigentlich gemacht.

Wenn ich jetzt in ein paar Tagen zurück nach Lissabon fliege (ein großer Luxus, das ich mir das überhaupt leiste – aber es spornt mich auch an, diese Flüge nun erst mal als meine letzten anzusehen) dann soll dort auch mehr Zeit für solche Dinge sein. Ich will mir für weniger Dinge mehr Zeit nehmen. Vielleicht könnte man es Erlebnis-Minimalismus oder so nennen. Klar werde ich mich dort auch verstärkt der Uni widmen, aber ich will mir trotzdem Zeit nehmen – jeden Tag – einfach nur durch die Stadt zu laufen und neugierig zu sein (sofern das mit durch die Stadt laufen dort wieder geht). Ich will die Stadt noch mal neu kennenlernen, ohne das Gefühl, irgendwas zu müssen – ohne Leute kennenlernen zu müssen, ohne auf diese Veranstaltung oder jenes Event gehen zu müssen.

Und ja, warum will ich eigentlich um jeden Preis zurück? Weil für mich das Kapitel Lissabon noch nicht abgeschlossen ist. Weil da noch so viel wartet, weil ich das Abenteuer in meinem Bauch spüren kann. Weil ich mich nicht für immer in meiner Villa Kunterbunt vor der Welt verstecken kann. Weil mit dem Rückflug nach Deutschland der darauf folgende Rückflug nach Lissabon eigentlich schon feststand. Weil ich mein Auslandsabenteuer dort richtig zu Ende führen will – wenn auch mit kurzer Unterbrechung im Schwarzwald, die mich vieles gelehrt hat, was ich jetzt mitnehme auf meine weitere Reise. Weil mein kleines Zimmer dort auf mich wartet und mein Surfboard. Weil weil weil.. Weil Saudade. Saudade de Lisboa. Der Stadt mit den sieben Hügeln und dem glitzernden Fluss, der ins große Meer führt und mich in den nächsten Wochen das Träumen auf Portugiesisch lehren soll.

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