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Von geschichtlichen Narrativen und multiplen Perspektiven

„So lange weg von daheim, ja sag mal, vermisst du uns denn gar nicht? Und warum willst du denn überhaupt so lange dort sein?“, so klingt es mir jedes Mal entgegen, wenn ich mit meiner liebsten Omi telefoniere. Ich muss dann immer kurz überlegen, was ich darauf entgegne. Wie fühlt es sich für mich an, so lange im Ausland zu sein? Und warum möchte ich das überhaupt? Vom Meistern von Neuanfängen, Abschieden und Übergänge vor, nach oder zwischen den Auslandsaufenthalten und warum es tatsächlich ein MUSS für mich ist, tatsächlich so lange vor Ort zu sein.

Wie bereits in meinem ersten Blogbeitrag beschrieben, habe ich mich letztes Jahr im August entschieden, dass es ab März 2023 für drei Semester ins Ausland gehen soll. Ansporn war dabei hauptsächlich meine Sprachkenntnisse in Arabisch und Griechisch zu verbessern bzw. vor allem in Arabisch endlich ins Dialekt-Sprechen reinzukommen. Gleichzeitig wollte ich den Auslandsaufenthalt nutzen, um mich thematisch und geografisch innerhalb meines Studienganges ein bisschen mehr zu spezialisieren. Doch es steckt noch mehr dahinter.

Vom Festlegen und Spezialisieren…

Meine beiden Studiengänge kommen mir manchmal nämlich wie nie endende deep blue seas vor: Es gibt tausend spannenden Themen, zeitliche Epochen und verschiedene Methoden, diesen nachzugehen. Zusätzlich habe ich mich auch noch für zwei unterschiedliche Studiengänge und Sprachen entschieden. Einen Schwerpunkt zu setzen fällt mir als sowieso sehr leicht zu begeisternder Mensch daher überhaupt nicht leicht. Aber wie es nun mal im Leben ist: face your enemies 😉

Ich habe also versucht, Brücken zu schlagen, indem ich nach „shared histories“ und Praktiken gesucht habe. Wobei ich da eigentlich nicht lange selbst suchen musste, in beiden Studiengängen wurden mir praktischen die Themen auf dem goldenen Tablett serviert. Wie das, fragt ihr euch? Tja, ich habe dieselben geschichtlichen Ereignisse, Praktiken oder Konzepte gelernt, nur mit unterschiedlichen Narrativen oder Perspektiven. Nehmen wir mal als Beispiel die Insel Kreta während der Osmanischen Herrschaft: In der Neugriechischen Geschichte haben wir uns mit dem kretischen Befreiungskampf auseinandergesetzt, in der Islamwissenschaft haben wir uns (wenn auch sehr kurz) mit Kreta als ein Beispiel des osmanischen Provinz-Managements auseinandergesetzt. Same same but different.

Ein weiteres geteiltes Erbe: Fatimas Hand als Glücksbringer ist sowohl an christlichen als auch muslimischen Haustüren im gesamten östlichen Mittelmeerraum zu finden – ganz zu schweigen von Sprachen, kulturellen Bräuchen, Essen, Religionen. Und das alles lange bevor das Konzept von Nationalstaaten überhaupt erfunden wurde.

Geteilt statt entzweit

Ich erspare euch weiteren geschichtswissenschaftlichen Nerd-Talk und fasse mich kurz: Mir ist es superwichtig, diese offensichtlich so geteilte Geschichte (wieder) gemeinsam zu denken. Das Denken in Nationalstaaten und vermeintlichen politischen Einheiten wie beispielsweise der Europäischen Union aka „das westliche Abendland“ oder des sogenannten „Nahen Ostens“ (Achtung – problematischer Begriff an sich inoming!) sind vergleichsweise neue Konzepte, die sich so überhaupt nicht auf die damaligen gesellschaftlichen und politischen Realitäten und vor allem Identitäten übertragen lassen. Mal ganz davon abgesehen, dass mit der Benennung eines Studienganges wie meinem „Geschichte und Kultur des Vorderen Orients“ sich das bestehende Konzept schon in der Namensgebung treu bleibt.

Gelingen kann dies zum einen über die Herangehensweise der gemeinsamen Konzepte, mit denen dann auch vergleichend argumentiert werden kann. Zum anderen ist aber seit circa zehn Jahren eine neue Form der Geschichtswissenschaft auf dem Vormarsch, die geografische Räume zusammenfasst anstelle von politischen. So entstehen gerade immer mehr Forschungseinheiten und Studiengänge, die sich mit „Mediterranean Studies“ oder sogar „Eastern Mediterranean Studies“ auseinandersetzen und damit den Mittelmeerraum als kulturelle, geschichtliche und gesellschaftliche Einheit mit geteilter Geschichte sehen. Und genau dort möchte ich ansetzen. Für mich ist dies das schlagende Argument für meinen langen, (fast) ununterbrochenen Aufenthalt in der Region. Der kulturelle Raum muss in seiner Gesamtheit erschlossen werden.

Zypern – Libanon / Libanon – Zypern

Gerade mit Zypern und dem Libanon merke ich, dass die Verbindungen so was von da sind. Es gibt eine griechische Gemeinde in Beirut mit Nachfahren zypriotischer Einwander:innen, linke Widerstandskämpfer im libanesischen Bürgerkrieg haben sich nach Zypern abgesetzt, und ganz aktuell: Seit 2019 sind 10.000 Libanes:innen nach Zypern emigriert, um der dortigen wirtschaftlichen und politischen Situation zu entfliehen.

Megaleckeres libanesisches Frühstück finde ich somit nicht nur auf meinem Balkon in Beirut, sondern auch hier in den Straßen Nikosias. Kaum eine Woche hier merke ich schon im Alltagsleben, wie divers die Gesellschaft ist. Fast alle haben neben ihrer griechisch-zypriotischen und türkisch-zypriotischen Identität noch mindestens einen armenischen, libanesisch-maronitischen oder britischen Hintergrund.

Ich kann mir gut vorstellen, eines dieser Themen in meiner noch anstehenden Bachelorarbeit zu tackeln. Aber erst mal möchte ich dafür meine Kurse an der Uni abwarten, die sich schon jetzt superspannend anhören. Dazu aber in einem späteren Blogbeitrag mehr.

Heute hier, morgen dort – vom emotionalen Verarbeiten

Generell habe ich in meinen 26 Lebensjahren bereits über mich herausgefunden, dass ich ziemlich viel Zeit und Raum brauchen, um meine Emotionen und Erlebtes zu verarbeiten. Mittlerweile schaffe ich es auch ziemlich gut, mir diesen Raum zu nehmen. Gerade vor, im und nach dem Auslandsaufenthalt sollte das nicht unterschätzt werden. Es sind so viele neue Eindrücke und Gesichter, neue Geschichten und oft unvorhersehbare Situationen, die es zu meistern gilt. Natürlich nehmen wir dafür so viel Schönes und neue Erfahrungen mit, die uns wachsen lassen, aber es raubt eben auch viel Energie. Daher hier meine kleine „Resilienz-Checkliste“, die ich mir auch selbst immer wieder vorknöpfe:

Resilienz vor, im und nach dem Auslandsaufenthalt

  1. Bewusst Freiräume schaffen: Nehmt euch vor der Abreise ins Ausland nochmals ein paar Tage für euch selbst oder nur mit euren Liebsten und nehmt bewusst Abschied. Oder legt nochmals einen Zwischenstopp an einem anderen Ort ein, um nochmals durchzuatmen, gerade wenn ihr auf dem Land- oder Seeweg zum Ziel reist. Ein langsames Ankommen kann Wunder bewirken.
  2. Dinge davor abschließen: Wenn es zeitlich hinhaut, überwindet den inneren Schweinehund und schließt Dinge wie Prüfungen oder schriftliche Arbeiten vor Beginn eures Auslandsaufenthalts noch zu Hause ab. Ihr werdet schnell in die neue Welt reingezogen werden und wollte das mit Leib und Seele miterleben und nicht noch der ollen Hausarbeit aus dem letzten Semester nachhängen. Zudem werden ja bald schon neue Herausforderungen auf euch warten. 😉
  3. Ein sicheres und schönes Zuhause schaffen – auch wenn es nur für ein paar Monate ist: Je mehr ich für einige Monate an verschiedenen Orten lebe, desto mehr wird mir bewusst wie wichtig Wohnen wirklich ist. Das Zuhause ist der Rückzugsort, der sichere Hafen. Also schaut euch im Voraus gut an, wie und wo ihr wohnen möchtet. Sprecht Dinge in der WG an, die nicht passen, kommuniziert eure Bedürfnisse und sorgt so für euch selbst.

Das waren jetzt mal grob meine drei wichtigsten Erkenntnisse. Umso mehr würde mich interessieren, was ihre so macht, um gut von Ort zu Ort zu kommen. Wenn ihr möchtet, schreibt in den Kommentaren gerne eure Gedanken dazu.

Im März alleine von Athen aus mit der Fähre für fünf Tage auf die kleine griechische Insel Kithira – mein perfektes Zwischenatmen vor Beirut.
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